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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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an einem Tisch?«
    »Einem Tisch, wenn’s geht. Vorzugsweise hinten.«
    Die Kellnerin drehte sich schwungvoll um, entdeckte an der Rückwand einen leeren Platz und nickte. »Kommen Sie«,sagte sie. Sie deutete auf einen Stuhl und schlug vor ihm die Speisekarte auf. »Was von der Bar?«, wollte sie wissen.
    »Ein Glas Wein, Rotwein bitte«, antwortete er.
    »Kommt sofort. Wir haben heute Bandnudeln mit Lachs als Spezialität. Gar nicht schlecht.«
    Ricky blickte der Kellnerin hinterher. Die Speisekarte war groß, eingeschlagen in eine dieser Plastikhüllen zum Schutz gegen Flecken – viel sperriger, als die bescheidene Auswahl gerechtfertigt hätte. Er stellte sie vor sich auf, um sich in die Liste der Burger und Vorspeisen zu vertiefen – schlichte Hausmannskost, die sich unter einer vollmundigen, blumigen Wortwahl verbarg. Wenig später legte er die Speisekarte weg und hielt nach der Bedienung mit dem Wein Ausschau. Sie war verschwunden, wahrscheinlich in die Küche.
    Statt ihrer stand Virgil vor ihm, je ein volles Glas Rotwein in der Hand. Sie trug ausgewaschene Jeans, ein violettes, kurzes T-Shirt dazu und eine teuer wirkende, mahagonifarbene Etuitasche aus Leder unter einen Arm geklemmt. Sie setzte die Getränke auf dem Tisch ab, zog sich einen Stuhl heran und ließ sich ihm gegenüber fallen. Sie nahm die Speisekarte und legte sie auf den Nachbartisch.
    »Ich hab uns beiden bereits das Tagesmenü bestellt«, sagte sie mit einem angedeuteten, koketten Grinsen. »Die Kellnerin hat absolut Recht: Es ist nicht schlecht.«

12
     
    Er war vollkommen verblüfft, zeigte aber keine Reaktion. Stattdessen starrte er die junge Frau über den Tisch hinweg mit so ausdrucksloser Miene an wie viele seiner Patienten. Schließlich sagte er nur: »Sie meinen also, der Lachs ist frisch?«
    »So frisch, dass er noch nach Luft schnappt und auf dem Teller zappelt«, erwiderte Virgil munter.
    »Wie treffend formuliert«, sagte Ricky leise.
    Die junge Frau nippte gemächlich an ihrem Glas Wein, benetzte sich mit der dunklen Flüssigkeit so eben die Lippen. Ricky schob sein eigenes Glas beiseite und trank hastig Wasser.
    »Zu Pasta und Fisch sollten wir eigentlich Weißwein trinken«, sagte Virgil. »Andererseits halten die sich hier sowieso nicht so streng an die Regeln, nicht wahr? Kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass hier gleich so ein stirnrunzelnder Weinkellner aufkreuzt und uns steckt, wie unpassend unsere Zusammenstellung ist.«
    »Nein, eher unwahrscheinlich«, stimmte Ricky zu.
    Virgil redete schnell, wenn auch ohne die Nervosität, die oft hinter hastig gesprochenen Worten steckt. Sie klang eher wie ein freudig erregtes Kind an seinem Geburtstag. »Andererseits hat es auch so was Unbekümmertes, Rotwein dazu zu trinken, finden Sie nicht? So was Aufmüpfiges, als wollten wir sagen, was kümmern uns die Konventionen? EmpfindenSie das auch so, Dr. Starks? Ein bisschen Abenteuer und Gesetzlosigkeit, ein Spiel, das nicht den Regeln folgt. Was meinen Sie, Ricky?«
    »Ich meine, dass die Regeln ständig geändert werden«, entgegnete er.
    »Die Regeln der Etikette?«
    »Geht es darum, um Etikette?«, antwortete er.
    Virgil schüttelte den Kopf, so dass ihre blonde Mähne verführerisch wippte. Sie warf lachend den Kopf zurück und entblößte ihren langen, attraktiven Hals. »Nein, natürlich nicht, Ricky, da haben Sie Recht.«
    In diesem Moment brachte die Kellnerin ein Weidenkörbchen mit Brötchen und Butter und versetzte sie beide für einen kurzen konspirativen Moment in drückendes Schweigen. Kaum war sie gegangen, griff Virgil nach dem Brot. »Ich falle um vor Hunger«, sagte sie.
    »Mein Leben zu ruinieren, verbrennt also Kalorien?«, fragte Ricky.
    Wieder lachte Virgil. »Sieht so aus«, sagte sie. »Das gefällt mir, wirklich. Wie sollen wir es nennen, Doc? Wie wär’s mit ›die Ruin-Diät‹ – gefällt Ihnen das? Wir könnten ein Vermögen damit machen und uns in irgendein exotisches Inselparadies verziehen, nur wir beide, ganz allein.«
    »Eher unwahrscheinlich«, sagte Ricky brüsk.
    »Wer weiß«, erwiderte Virgil, während sie ihr Brötchen großzügig mit Butter bestrich und dann mit einem knuspernden Geräusch in den Rand biss.
    »Weshalb sind Sie hergekommen?«, fragte Ricky, leise zwar, doch mit all dem Nachdruck, den er aufbringen konnte. »Sie und Ihr Auftraggeber scheinen meinen Ruin bis ins letzte Detail von langer Hand geplant zu haben. Schritt für Schritt. Sind Sie gekommen, um sich über mich

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