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Der Patient

Titel: Der Patient Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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betont steifen Gebärde ab, die ihr Missfallen an seiner Antwort bekundete.
    »Strengen Sie sich an, Ricky, mir zuliebe. Immerhin bin ich auf meine Weise da, um Sie zu führen. Das Problem ist nur, dass das Wort
führen
positive Konnotationen hat, die vielleicht nicht ganz zutreffend sind. Ich muss Sie vielleicht in die eine oder andere Richtung lenken, die Ihnen missfällt. Eines allerdings ist sicher: Ohne mich kommen Sie nicht an die Antwort, und dann sterben entweder Sie – oder jemand, der Ihnen nahesteht und der keine Ahnung von alledem hat. Und blind zu sterben ist dumm, Ricky. In gewissem Sinne ein schlimmeres Verbrechen. Also, beantworten Sie jetzt meine Frage: Welche Motive könnte ich noch haben?«
    »Sie hassen mich. Hassen mich so wie dieser Kerl namens R., nur dass ich nicht weiß, wofür.«
    »Hass ist eine unpräzise Gefühlsregung, Ricky. Meinen Sie, Sie können sie verstehen?«
    »Ich höre täglich in meiner Praxis davon …«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein, nein, tun Sie nicht. Sie hören eine Menge über Wut und Frustration, beides nur Nebendarsteller; Sie hören viel über Missbrauch und Grausamkeiten, beides wichtige Akteure auf der Bühne, aber dennoch nichts weiter als Teile des Ensembles. Am meisten aber hören Sie über Unannehmlichkeiten. Und das nun wieder hat so wenig mit purem Hass zu tun wie eine einzige dunkle Wolkemit einem Gewitter. Diese Wolke muss mit anderen verschmelzen und mächtig anschwellen, bevor sie sich entlädt.«
    »Aber Sie …«
    »Ich hasse Sie nicht Ricky. Auch wenn ich es vielleicht lernen könnte. Lassen Sie sich was anderes einfallen.«
    Er kaufte ihr das zwar keine Sekunde ab, versuchte aber fieberhaft, eine Antwort zu finden. Er zog heftig den Atem ein.
    »Dann eben Liebe«, platzte Ricky heraus.
    Virgil lächelte wieder. »Liebe?«
    »Sie spielen diese Rolle, weil Sie in diesen Mann, in Rumpelstilzchen, verliebt sind.«
    »Das ist ein faszinierender Gedanke. Besonders, wo ich Ihnen gesagt habe, dass ich gar nicht weiß, wer er ist. Dem Kerl nie persönlich begegnet bin.«
    »Ja, ich erinnere mich, dass Sie das gesagt haben. Ich glaub’s nur nicht.«
    »Liebe, Hass, Geld. Sind das die einzigen Motive, die Ihnen einfallen?«
    Ricky überlegte. »Vielleicht auch Angst.«
    Virgil nickte. »Angst ist gut, Ricky. Angst kann jemanden zu den seltsamsten Dingen verleiten, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Ihre Analyse der Beziehung besagt demnach, dass Mr. R. mich vielleicht mit einer Drohung in der Hand hat? Wie der Kidnapper, der seine Opfer zwingt, ihm Geld zu blechen, weil sie verzweifelt hoffen, dass er ihnen ihren Hund oder ihr Kind zurückgeben wird? Verhalte ich mich denn wie jemand, der etwas gegen seinen Willen tut?«
    »Nein«, räumte Ricky ein.
    »Na schön, auch gut. Wissen Sie, Ricky, ich denke, Sie sind ein Mann, der die Gelegenheit nicht beim Schopfe packt, wenn sie sich ihm bietet. Das ist jetzt das zweite Mal, dass ichIhnen gegenübersitze, und statt dass Sie versuchen, sich selber zu helfen, flehen Sie mich um Hilfe an, wo Sie nichts getan haben, um sich meinen Beistand zu verdienen. Ich hätte es wissen müssen, aber ich hegte gewisse Hoffnungen für Sie. Wirklich. Jetzt kaum noch, obwohl …«
    Sie machte eine abwinkende Handbewegung, die eine Antwort im Keim ersticken sollte. »… Kommen wir zum Geschäftlichen. Sie haben die Antwort auf Ihre Fragen heute morgen in Ihrer Zeitung gefunden?«
    Ricky zögerte, bevor er antwortete: »Ja.«
    »Gut. Deshalb hat er mich heute Abend hergeschickt. Um das sicherzustellen. Wär nicht fair, fand er, wenn Sie auf die Antworten verzichten müssten, nach denen Sie suchen. Ich war natürlich überrascht. Mr. R. hat beschlossen, Sie ein gutes Stück an sich ranzulassen. Näher, als ich es für klug gehalten habe. Wägen Sie Ihre nächsten Fragen sorgsam ab, Ricky, wenn Sie gewinnen wollen. Ich habe den Eindruck, er hat Ihnen eine große Chance gegeben. Aber ab morgen früh bleibt Ihnen nur noch eine Woche Zeit. Sieben Tage und noch zwei weitere Fragen.«
    »Mir ist die Zeit bewusst.«
    »Wirklich? Ich glaube, Sie haben nicht ganz begriffen. Noch nicht. Aber apropos Motivation, Mr. R. hat mir was mitgegeben, das Ihnen dabei helfen soll, Ihre Ermittlungen zu beschleunigen.«
    Virgil beugte sich hinunter und hob die kleine Ledertasche auf, die sie zuvor unter dem Arm getragen und anschließend auf den Boden gestellt hatte. Sie öffnete die Tasche bedächtig und zog einen braunen Umschlag heraus, der sich von

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