Der Patient
zusammenzuhalten.Er holte tief Luft und machte sich klar, dass mit großer Wahrscheinlichkeit jedesmal, wenn er – egal aus welchem Grund – seine Wohnung verließ, Rumpelstilzchen oder einer seiner Henkersleute hinter ihm hineinschlüpfte. Diese Übergriffe waren auch nicht mithilfe eines Schlossers zu verhindern und standen nach seiner letzten Rückkehr in ein Heim ohne Licht außer Zweifel.
Rickys Magen war angespannt wie bei einem Athleten nach dem Rennen. Ihm kam der Gedanke, dass sich alles, was ihm bisher widerfahren war, auf zwei Ebenen abspielte. Jede Botschaft des Mannes hatte eine wörtliche und eine symbolische Komponente.
Zu Hause, so viel war klar, konnte er sich nicht mehr sicher fühlen. Langsam kroch ihm dort draußen vor dem Haus, in dem Ricky den größten Teil seines Lebens als Erwachsener verbracht hatte, die Erkenntnis hoch, dass es vielleicht keinen einzigen Winkel mehr in seinem Leben gab, in den sein Verfolger nicht vorgedrungen war.
Zum ersten Mal dämmerte ihm: Ich muss einen Ort finden, an dem ich sicher bin.
Ohne die blasseste Ahnung, wo er – innerlich wie äußerlich – einen solchen Zufluchtsort auftreiben konnte, schleppte sich Ricky die Stufen zu seiner Wohnung hoch.
Zu seiner Verwunderung gab es keinerlei offensichtliche Anzeichen dafür, dass diesmal jemand eingedrungen war. Die Lampen funktionierten normal, im Hintergrund surrte die Klimaanlage vor sich hin. Dieser sechste Sinn, die panische Angst, dass jemand dagewesen war, blieb aus. Er schloss die Tür hinter sich ab und fühlte eine Woge der Erleichterung. An seinem rasenden Puls konnte das nichts ändern, ebenso wenig am Zittern seiner Hand, das sich nicht gebessert hatte,seit Virgil ihn im Restaurant hatte sitzen lassen. Er hielt die Hand vors Gesicht, um das nervöse Zucken zu diagnostizieren, doch sie war trügerisch ruhig. Er traute der Sache nicht mehr; es war, als könnte er eine fortschreitende Erschlaffung in den Muskeln und Sehnen tief in seinem Körper spüren, so dass er möglicherweise jeden Moment die Kontrolle verlor.
Die Erschöpfung zerrte an seinen Gliedern und breitete sich in jedem Winkel seines Körpers aus. Er verstand nicht, wieso er nach dem bisschen Rennen kaum noch Luft bekam.
»Du brauchst dringendst eine Runde Schlaf«, sagte er laut vor sich hin und erkannte den Tonfall wieder, den er gegenüber Patienten anschlug. »Du brauchst Ruhe, du musst deine Gedanken sammeln und Fortschritte sehen.« Zum ersten Mal dachte er daran, nach dem Rezeptblock zu greifen und sich selbst ein Beruhigungsmittel zu verschreiben. Er wusste, dass er einen klaren Kopf benötigte, was sich als immer schwieriger erwies. Er hasste Tabletten, doch dieses eine Mal war er vielleicht darauf angewiesen. Einen Stimmungsaufheller, überlegte er. Ein Schlafmittel, damit er Ruhe fand. Dann vielleicht morgens ein Amphetamin, damit er sich im Lauf der verbleibenden Woche vor Rumpelstilzchens Ultimatum konzentrieren konnte.
Ricky hatte ein selten benutztes Exemplar des
Kompakten Arzthandbuchs
, eines Arzneimittelführers, in der Schublade, und er steuerte seinen Schreibtisch an, während er überlegte, dass die rund um die Uhr geöffnete Apotheke zwei Häuserblocks entfernt ihm alles liefern würde, was er telefonisch bestellte.
Er setzte sich auf seinen Sessel und hatte im Handbuch schnell gefunden, was er brauchte. Er nahm seinen Rezeptblock zur Hand und rief die Apotheke an, um zum ersten Mal seit Jahren, wie ihm schien, sein Ärzte-Passwort durchzugeben.
»Name des Patienten?«, fragte der Apotheker.
»Die sind für mich«, sagte Ricky.
Der Apotheker schwieg einen Moment. »Diese Medikamente vertragen sich nicht sonderlich gut, Dr. Starks«, sagte er, »Sie sollten vorsichtig dosieren und kombinieren.«
»Danke für Ihre Warnung. Ich passe auf. Ich werde vorsichtig sein …«
»Sie sollten sich nur darüber im Klaren sein, dass eine Überdosis tödlich sein kann.«
»Dessen bin ich mir bewusst«, sagte Ricky, »aber ein Zuviel kann bei allem tödlich sein.«
Der Apotheker hielt das für einen Witz und lachte. »Na ja, vermutlich schon, nur dass wir bei manchen Dingen wenigstens mit einem Lächeln auf den Lippen abtreten würden. Mein Kurier bringt Ihnen die Sachen im Lauf der nächsten Stunde vorbei. Soll ich die Sachen Ihrem Konto in Rechnung stellen? Sie haben schon ’ne ganze Weile nichts mehr darauf bezogen.«
Ricky überlegte einen Moment und sagte: »Ja. Unbedingt.« Die harmlose Frage des Mannes
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