Der Pestengel von Freiburg
hatte der Vater zugestimmt. Auch die Versöhnung mit seiner Mutter hatte er nicht unerwähnt gelassen und dem Vater dafür gedankt, dass er ihm die Augen geöffnet hatte. Da meinte Benedikt ein glückliches Leuchten im Blick seines Vaters erkannt zu haben. Dann hatte Benedikt ihm enthüllt, was er sich auf dem Heimweg in den Kopf gesetzt hatte. Er wolle ihn gern nach Feierabend bei seinen Krankenbesuchen begleiten.
«Nein, mein Sohn, das ist nichts für dich», hatte der Vater abgewehrt, doch war ihm anzusehen gewesen, wie sehr er sich freute.
Gestern nun hatte Benedikt ihn erneut gefragt – fast schon angefleht. Seit drei Tagen war Daniel oben auf dem Wald, und von den wenigen Werkleuten, die in der Stadt geblieben waren, hatte sich bald schon keiner mehr blicken lassen. Seither war Benedikt mutterseelenallein auf dem Werkplatz, fühlte sich wie der Letzte auf einem sinkenden, führerlosen Schiff. Die Stunden dehnten sich zu Ewigkeiten, wenn er da an seinem Werkstück saß, und bald schon sah er zwischen den verlassenen Steinhaufen und Gerätschaften Schatten, wo keine waren, hörte Stimmen, wo doch alles still war. Zu tun hatte er nichts anderes als die zugewiesenen Steine in stumpfsinnigen Schlägen zu bossieren, hin und wieder streunende Hunde oder Schweine zu verjagen und die Türschlösser der verriegelten Gebäude zu prüfen. Er fürchtete, verrückt zu werden, wenn dies noch Wochen so weiterginge, zumal des Nachts, wenn er kaum Schlaf fand so allein in seiner Kammer im Gesellenhaus.
«Ich werde darüber nachdenken», war die verhaltene Antwort des Vaters gewesen, und während Benedikt jetzt hier vor der Kirche saß und die Zeit totschlug wie seit Tagen, fragte ersich, ob sein Vater seinen Wunsch überhaupt ernst genommen hatte.
«Gehet und gießet aus die sieben Schalen mit dem Zorn Gottes», hörte er eine vertraute Stimme sagen. «Der erste Engel ging hin und goss seine Schale aus auf die Erde, und es ward ein böses und arges Geschwür an den Menschen.»
Eine Hand legte sich auf seine Schulter, und Benedikt öffnete verwirrt die Augen.
«Vater!» Er stand auf. «Warst du in der Messe?»
«Nein, ich komme von einem Kranken.»
«Warum hast du mich nicht mitgenommen?»
«Du kannst mich jetzt begleiten. Aber ich warne dich: Es ist kein schöner Anblick für zartbesaitete Seelen.»
«Das weiß ich selbst. Wer ist es?»
«Der alte Tucher. Ich habe mir gedacht, du könntest Mechthild trösten. Sie hat dich immer sehr gemocht. Ehrlich gesagt – es wäre mir sogar sehr recht, wenn du dabei wärst. Zum ersten Mal trifft es eine Familie, die ich gut kenne.»
«Ist es – ist es die Seuche?»
«Was glaubst du? Wegen eines eingeschlagenen Schädels oder eines verbrühten Arms holt man mich nicht mehr. Kommst du also mit?»
«Ja. Ich muss nur noch mein Werkzeug wegschließen.»
Es war nicht weit hinüber zur Großen Gass, und so blieb Benedikt kaum Zeit, sich innerlich auf das, was ihn erwartete, vorzubereiten. Die Gassen waren so gut wie menschenleer, bei den meisten Werkstätten und Verkaufslauben waren die Läden zugezogen.
«Hör gut zu, mein Sohn. Ein junger und gesunder Mensch wie du kann sterben, wenn er dem Atem des Erkrankten zu nahe kommt. Vielleicht sogar seiner Ausdünstung oder Kleidung.Halte also Abstand, mindestens einige Schritte, und tu allein das, was ich dir sage. Hast du verstanden?»
Benedikt nickte beklommen. Sie waren vor dem herrschaftlichen Haus Zum Rosbaum angekommen.
«Warte.» Sein Vater zog zwei Baumwolltücher aus der Umhängetasche und tränkte sie mit einer gelbgrünen Flüssigkeit. «Binde dir das vor Mund und Nase, wenn wir im Haus sind. Es hilft gegen die Miasmen.»
Er schlug dreimal den Eisenring gegen die Haustür.
«Bist du immer noch bereit mitzukommen? Ich würde es verstehen, wenn du es dir anders überlegt hast.»
«Nein, ich will dabei sein.»
Die schwere Eichenholztür öffnete sich mit einem Ächzen, und Tuchers Hausmagd winkte sie herein. Die Eingangshalle mit ihrer steinernen Innentreppe lag fast im Dunkeln, nur zwei flackernde Wandleuchter spendeten spärliches Licht. Die Luft war zum Schneiden und roch nach Weihrauch und anderem Räucherwerk.
Sein Vater stieß ihn in die Seite. «Das Tuch.»
Rasch banden sie sich die Tücher um den Kopf. Der Gestank nach Essig und anderen scharfen Ingredienzien stieg Benedikt schmerzhaft in die Nase.
«Ich weiß, es stinkt!», kam die Stimme seines Vaters dumpf unter der Maske hervor. «Aber glaub mir: Die
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