Der Pestengel von Freiburg
Pestilenz stinkt noch viel grauenhafter.»
Die Magd starrte sie verschreckt an. Sie mussten aussehen wie vermummte Wegelagerer.
«Wenn Ihr mir folgen wollt. Die Herrin wartet oben bei der Schlafkammer.»
Sein Vater hielt sie zurück. «Bleib du nur hier. Ich kenne den Weg.»
Zu zweit stiegen sie die Stufen hinauf in das dritte Stockwerk. Benedikt spürte seinen Herzschlag bis in die Schläfen. Da sah er vor der verschlossenen Schlafkammertür die Tucherin sitzen. Sie lehnte aufrecht mit dem Rücken zur Wand, die Hände zusammengepresst, und schluchzte lautlos vor sich hin.
«Ist er bei sich?», fragte sein Vater.
Sie schüttelte den Kopf. Dabei entfuhr ihr ein kleiner spitzer Schrei, der dem Quieken eines Ferkels ähnelte, und sie sackte in sich zusammen.
«Gott schütze dich und deinen Mann», stammelte Benedikt, nur um überhaupt etwas zu sagen. Dann folgte er seinem Vater, der die Tür zur Schlafstube aufstieß.
Als Benedikt in die abgedunkelte Kammer trat, stockte ihm der Atem. Selbst durch seine Maske hindurch konnte er den Gestank nach Schweiß, Urin und Kot riechen – und nach Fäulnis!
«Bleib an der Tür stehen und atme nicht zu tief», befahl ihm der Vater. Er öffnete das Fenster, das mit kostbaren Butzenscheiben verglast war, stieß die Läden auf und ließ Licht und frische Luft herein. Jetzt erst konnte Benedikt den Kranken richtig sehen. Er hätte Gottfried Tucher niemals erkannt!
Sein abgemagerter Körper war bis über die Brust von einem befleckten Laken bedeckt, seltsam zusammengekrümmt lag er auf der Seite und zitterte. Selbst im Tageslicht wirkte sein unrasiertes Gesicht unnatürlich aschgrau, das halblange Haar klebte ihm schweißnass am Schädel. Mund und Augen waren wie unter starken Schmerzen zusammengepresst, um die Nasenlöcher und im schütteren Kinnbart klebte geronnenes Blut. Seine bloßen Oberarme wiesen überall schwarze Flecken auf, und unter der Achsel quoll eine hässliche dunkle Beule in derGröße eines Apfels hervor. Entsetzt starrte Benedikt den alten Mann an. Der hob an zu krächzen und zu stammeln.
«Hinfort, du Bestie!» Tuchers Hand krampfte sich am Bettrand fest. «Du Schlange, du Gewürm – nein – bringt sie weg …» Der Rest ging in unverständliches Brabbeln über.
«Er hat Traumgesichte.» Sein Vater zog vorsichtig das Laken vom Leib des Kranken. «Sein Geist ist umnachtet.»
Auch in der Leistengegend fanden sich große blauschwarze Geschwüre. So widerwärtig der Anblick war, so konnte Benedikt seinen Blick doch nicht lösen von dieser schwarzfleckigen, zitternden, von der Seuche gemarterten Kreatur. Auch das war Gottes Schöpfung, dachte er, während sein Auge jeden Zoll des Körpers musterte. Auch das musste in Stein gehauen werden, wollte man das menschliche Dasein darstellen, auch das sollte seinen Platz haben in der Heils- und Weltgeschichte.
Ein Anflug von Befriedigung überkam ihn beim Anblick dessen, wie elendig der sündhafte Mensch zugrunde gehen konnte. Vielleicht würde es ja bald schon ihn selbst treffen.
«Ich werde die Karbunkel aufschneiden», hörte er den Vater sagen. «Besorge einen Korb mit sauberen Tüchern, zwei frische Laken, eine leere Schüssel und einen Topf mit heißem Wasser. Das Gesichtstuch behältst du hier im Haus auf.»
«Ja, Vater.»
«Und Mechthild soll eine Karaffe mit zwei Teilen Essig und einem Teil Würzwein richten. Damit sollen sich alle hier im Haus Hände und Gesicht waschen.»
Tuchers Frau schien froh, etwas zu tun zu bekommen. Als sie jetzt zusammen mit Benedikt in die Küche hinabstieg, hatte sie zu weinen aufgehört. Mit ruhiger Stimme gab sie ihre Anweisungen an die Hausmagd, die die notwendigen Utensilien zusammensuchte.
«Wie geht es Meinwart?», fragte Benedikt. «Ist er noch in der Stadt?»
«Ja. Aber er war schon lang nicht mehr hier», antwortete die Tucherin, «dass sein Vater krank ist, kümmert ihn nicht. Weder ihn noch meine anderen Söhne.»
Das Wasser im Kessel über dem Herdfeuer schien nun heiß genug, sodass sie mit Benedikts Hilfe einen Topf voll abfüllen konnte.
«Weißt du, bei uns ging es immer schon anders zu als bei euch. Ständig gab es Zank und Streit. Du kannst Gott und deinen Eltern danken für den Frieden und die Geborgenheit in eurem Haus.»
Benedikt nickte ein wenig beschämt.
«Ich weiß.»
«Und wie geht es deiner Mutter und deinen Geschwistern oben auf dem Wald? Hat sie keine Angst, so allein?»
«Mein Freund Daniel, ein Steinmetzgeselle, ist jetzt bei
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