Der Pestengel von Freiburg
beruhigte sich damit, dass sein Vater sicher schon in der Küche saß und den Morgenbrei bereitete. Doch als er das Haus betrat, war alles still im Erdgeschoss.
«Vater?»
Von oben hörte er trockenes Husten. Er rannte die Treppe hinauf und stieß die Tür zur Schlafkammer auf. Trotz des leichten Nieselregens stand das Dachfenster weit offen. Vor Schreck erstarrt blieb Benedikt im Türrahmen stehen. Fiebrig und am ganzen Körper zitternd lag sein Vater unter der dünnen Decke, sein Atem rasselte, die Lippen waren blau verfärbt, die Augen glasig und weit geöffnet, auf Gesicht und Hals zeichneten sich rote Flecken ab.
«Bleib – weg.»
Ein heftiger Hustenanfall folgte. Als sich der Kranke mit dem Ärmel über den Mund wischte, erschien dort ein dunkelroter Fleck.
Die Worte seines Vaters schossen ihm durch den Kopf: Spuckt der Kranke erst einmal Blut, ist der Tod gewiss. Und, als hätte der Vater ihm eine seiner prüfenden Fragen gestellt:Was ausgespuckt wird, ist aus der angegriffenen Lunge zur Kehle heraufgestiegen und hat bereits den ganzen Körper in Fäulnis versetzt.
«Bleib – weg», hörte er ihn erneut röcheln.
«Ganz ruhig, Vater. Ich hole dir zu trinken.»
Er hatte Mühe, den schweren, bis oben gefüllten Krug die Treppe hinaufzubringen, so sehr zitterten ihm die Arme. Im letzten Augenblick noch hatte er ein Baumwolltuch mit Essig getränkt und sich vor das Gesicht gebunden. Weniger aus Angst vor Ansteckung als aus Gehorsam gegenüber dem Vater.
Nachdem er ihm den Kräutersud eingeflößt hatte, atmete der Vater ein wenig ruhiger. «Hab keine Angst, ich bin bei dir», murmelte Benedikt unablässig, und tatsächlich schien der Kranke einzuschlafen.
Den ganzen Vormittag über blieb Benedikt neben seinem Bett sitzen. Gegen Mittag kam der Vater wieder zu sich, sein nackter Körper glühte jetzt, die Hände waren zu Fäusten gekrallt. Benedikt wechselte die Bettdecke, flößte ihm erneut zu trinken ein. Trotz seiner Essigmaske roch er den fauligen Atem des Kranken.
Nach einem Hustenanfall flüsterte sein Vater mit geschlossenen Augen: «Arbeite weiter – an unsrer schönen Kirche. Wenn alles vorbei ist, braucht der Mensch das Schöne – mehr als alles andre …»
Wieder hustete er, diesmal mit schwarzblutigem Auswurf.
«Du – machst es richtig – ein guter Steinmetz – ein guter Sohn – bin stolz auf dich.» Er rang krampfhaft nach Luft, und Benedikt sah, dass Rachen und Zunge ausgetrocknet waren, dazu schwarz und blutig. «Wenn ich jetzt gehe – du sollst wissen – wie sehr ich dich liebe – euch alle – deine Mutter.»
«Du wirst nicht sterben, Vater! Du bist stark.»
«Nein … Gevatter Tod … Er winkt schon …»
«Halt aus, bitte! Ich hole Mutter.»
«Bleib – bei – mir.»
Diesmal erbrach sich ein ganzer Schwall aus seinem aufgerissenen Mund. Benedikt wusste nicht mehr, was er zuerst tun sollte: ihm die Stirn kühlen, zu trinken geben, den Auswurf aus seinem Gesicht und vom Kopfkissen entfernen. Zugleich versuchte er, den Kopf seines Vaters höher zu lagern, um ihm das Atmen und Abhusten zu erleichtern, doch sein Zustand verschlimmerte sich rasend schnell.
Zu sprechen vermochte er bald schon nicht mehr, seine verzerrten Gesichtszüge verrieten die Schmerzen, die er haben musste. Benedikt wusste nun, er würde sterben.
«Soll ich den Priester holen?»
Hinter einem Tränenschleier sah er seinen Vater kaum merklich nicken.
«Ich bin gleich zurück, Vater. Geh noch nicht – warte auf mich …» Benedikts restliche Worte gingen in verzweifeltes Heulen über.
Mit tränennassem Gesicht, immer wieder laut aufschluchzend, stürzte er hinaus und rannte im Laufschritt hinüber zur Pfarrkirche. Dort fand er Pfarrer Cunrat in der Sakristei.
«Mein Vater, er stirbt», keuchte er. «Ihr müsst kommen, sofort!»
Pfarrer Cunrat zog sich die Stola von den Schultern und legte sie sorgfältig zusammen.
«Heinrich Grathwohl, der Pestarzt?»
«Bitte – es eilt!»
Das Gesicht des Geistlichen versteinerte.
«Hat er die Pestilenz?»
Benedikt wagte nicht, ihm offen ins Gesicht zu lügen: «Ja.»
Pfarrer Cunrat wich zurück und bekreuzigte sich. Dann sagte er mit fester Stimme: «Vertraue nur auf unseren Herrn. Auch eine schlimme Krankheit hat einen Sinn im Heilsplan Gottes. Und nun geh, mein Junge. Ich komme gleich nach.»
Für den Rest des Tages blieb Benedikt nichts anderes mehr, als am Bettrand zu sitzen, seines Vaters Handgelenk zu umklammern und dabei mit
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