Der Pestengel von Freiburg
waren heute das Haupttor wie auch sämtliche Fensterläden verschlossen, und er musste mehrmals heftig gegen die Hintertür klopfen, doch von innen hörte er deutlich Stimmengewirr und ausgelassenes Gelächter. Und eben jetzt, hintereinem geschlossenen Laden im oberen Stockwerk, brandete brünstiges Stöhnen auf.
Die Tür öffnete sich langsam. Durch den Spalt schob sich das graubärtige Gesicht des alten Frauenwirts. Noch ehe Benedikt sein Anliegen vorbringen konnte, schnauzte der: «Was willst du? Weißt du nicht, dass heut ein hoher Feiertag ist?»
«Ich bin ein guter Freund von Meinwart Tucher», erwiderte er.
Der Bärtige nickte, und die Tür schwang tatsächlich auf.
Benedikt war erst ein Mal hier gewesen, am Tag seiner Ledigsprechung. Da hatten ihn die Gesellenbrüder hierher entführt, hatten ihm wohl eine Freude machen wollen, wie es schon der Name des städtischen Bordells versprach. Doch das Ganze war zu einem einzigen Reinfall geworden. Zuerst hatte er sich, unter dem Zuspruch seiner Gefährten, Mut angesoffen. Als er dann einer langbeinigen Blonden, deren Lippen in der Farbe von Walderdbeeren glänzten, nach oben in die winzige, muffige Kammer gefolgt war, hatte er kaum noch aufrecht gehen können. Trotz der Bemühungen der Hübschlerin hatte sich rein gar nichts bei ihm geregt, und am Ende hatte er erst ihr spöttisches Mitleid, dann die Häme der Gesellen ertragen müssen. Seither hatte er das Frauenhaus gemieden wie der Teufel das Weihwasser.
Mit dieser unbehaglichen Erinnerung betrat er nun den Schankraum, der gut gefüllt war mit männlichen Gästen. Sechs, sieben Lustweiber kümmerten sich um deren Wohlbefinden und boten ungehemmt ihre Dienste an, während der Frauenwirt eifrig Wein nachschenkte. Rasch ließ Benedikt seinen Blick durch den spärlich erleuchteten Raum schweifen. Meist teilten sich zwei oder gar drei Männer ihre Vorfreude auf das Kommende, indem die Hure dem einen breitbeinig aufdem Schoß hockte, den Nachbarn zur Linken mit Küssen und anzüglichen Berührungen lockte und dem zur Rechten die Brüste darbot, die aus dem freizügig geschnittenen Gewand lugten. Obwohl die Stadtverordnung nur dem ledigen Mann den Bordellbesuch erlaubte, entdeckte Benedikt nicht wenige Ehemänner unter den Anwesenden und in der dunkelsten Ecke sogar einen Kaplan. Nur Meinwart konnte er nirgends sehen. Vielleicht war er ja oben und hatte dort seinen Spaß.
Er ging auf die nächstbeste Hübschlerin zu, die gerade einen Freier in Richtung Stiege entführte.
«Ist Meinwart Tucher bei euch?»
«Der gewiss nicht. Dem sein Geldsäckel ist so leer wie die Eier von einem Greis, seitdem er dem Glücksspiel verfallen ist. Und für umsonst macht’s dem großgoscherten Prahlhans hier keine.» Sie schenkte ihm ein verführerisches Lächeln. «Bei dir wär’s schon was andres. Vielleicht würd’s ja für diesmal besser klappen mit deinem besten Stück.»
Bei den letzten Worten glitt ihre Hand in seinen Schritt. Benedikt spürte, wie ihm eine flammende Röte in die Wangen stieg. Ausgerechnet an die mit den Erdbeerlippen war er geraten! Er hatte sie zunächst gar nicht erkannt, da ihre Gesichtszüge in den letzten paar Jahren um einiges gealtert waren.
Er bemühte sich zu grinsen. «Ein andermal vielleicht. Ich muss weiter.»
Draußen auf der engen Gasse holte er tief Luft. Er war verwirrt. Weniger von dem Treiben drinnen im Hurenhaus als vielmehr davon, dass für einen kurzen Augenblick heftiges Verlangen nach dieser Frau in ihm aufgeflackert war und er ums Haar auf ihr Angebot eingegangen wäre. Er dachte an Esther, an ihr einziges und wunderschönes Zusammensein, und kämpfte mit den Tränen, als er sich erneut auf die Suche nachMeinwart machte. Jetzt blieben nur noch die Schenken in der südlichen Vorstadt.
Im Wirtshaus Zum Schnecken wurde er endlich fündig.
«Ja, der junge Tucher war hier – voll wie tausend Mann», gab ihm die Schankfrau Auskunft. «Eben grad ist er raus, zusammen mit einem Saufkumpan und der Tochter vom Leinwandkrämer. Die wollten wohl noch einen Abendspaziergang machen.»
«Hab Dank und behüt dich Gott.»
Benedikt überlegte. Vielleicht waren sie zum Fluss gegangen. Im Laufschritt durchquerte er das Schneckentor, das die Vorstadt zur Dreisam hin abschloss. Die beiden Wächter, die am Boden hockten und würfelten, sahen nicht einmal auf, als er an ihnen vorbeilief. Kurz vor der überdachten hölzernen Brücke hielt er inne. Er hatte Stimmen gehört, vermochte aber nicht zu
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