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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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besser gesagt, wenn die Pestilenz vorbei ist. Wir müssen hierbleiben und das Haus hüten.»
    Die Frau erhob sich und ging zur Speisekammer.
    «Weißt du was, Grathwohlin?», hörte Clara sie aus der Tiefe der Kammer brummeln. «Auf diesen Befehl würd ich gradwegs scheißen – wenn ich nur wüsst, wo ich hinkönnt. Aber so bleib ich halt hier und werd auch sterben.»
    Beladen mit Wurstringen, Herrenbrot und einer Karaffe Wein kam sie zurück.
    «Alles haben sie zum Glück nicht mitnehmen können.» Sie nahm drei Zinnbecher vom Bord und schenkte Wein ein. «Die Vorratskammer ist noch voll bis oben hin. Schlagen wir uns also den Wanst voll. Los, greif zu, Grathwohlin. Ausbezahlen können wir dich nicht, weil Geld haben sie uns keines gelassen.»
    Clara mochte es noch immer nicht glauben. Vor allem über die Neumeisterin war sie entsetzt. Wie konnte eine Mutter so herzlos sein? Was machten diese Zeiten nur aus den Menschen?
    Sie schnitt ein Stück Wurst ab und kaute ohne jeden Appetit darauf herum. Warum, fragte sie sich nicht zum ersten Mal, traf diese Geißel Gottes weitaus mehr junge Menschen und Frauen? Warum gerade die, die das Leben noch vor sich hatten oder es weitertrugen? Wollte der Herrgott die Menschheit als Ganzes strafen, wie in Moses Zeiten mit der Sintflut?
    Wenig später stand Mechthild in der Küchentür. Ihre Augen funkelten wütend.
    «Der Pfarrer kommt nicht. Auch kein Kaplan und kein Vikar. Keiner von ihnen will mehr ein Pesthaus betreten. Weißt du, was der Pfaffe mir gesagt hat?»
    Sie setzte sich und nahm einen tiefen Schluck aus Claras Becher.
    «Unser Papst hätte allen Pestopfern eine Generalabsolution erteilt. Ein Christ bräuchte die Pest also nicht zu fürchten.»
    Die Köchin zog die Mundwinkel nach unten. «Das hat er uns letzten Sonntag auch schon gepredigt. Der Pesttod wär ein Märtyrertod, eine besondere Gnade Gottes. Er würd einem nämlich die Hölle ersparen, und man käme schnurstracks ins Paradies.»
     
    Gleich am nächsten Morgen erlebte Clara ein weiteres Mal, wie die Geistlichkeit neuerdings ihre Aufgaben zu verrichten gedachte. Es war Mariä Himmelfahrt, der Tag, an dem in der Kirche die Kräuter gesegnet wurden. Sie hatte, wie viele andere Frauen und Mädchen auch, ihre Sträuße gleich körbeweise vor den Altar geschleppt. War doch die Heilkraft der Kräuter in solchen Zeiten wichtiger denn je!
    Nicht nur ihr als Heilerin lag der Segen dieser Gewächse besonders am Herzen. Krankem Vieh wurden geweihte Kräuter ins Futter gemischt, oder man warf sie zum Schutz vor Blitzschlag beim Gewitter ins offene Feuer. Sie schützten vor allen möglichen Krankheiten und bösen Zaubern, verhalfen zu Eheglück, Kindersegen und vielem mehr. Das ganze Jahr über nahmen die Menschen von diesen Büscheln, und besonders heilkräftig sollten die Kräuter sein, wenn man sie zusammen mit Weihrauch räucherte.
    Indessen war an diesem Hochfest kein einziger Geistlicher zu sehen. Dafür war der Kreuzaltar mit brennenden Kerzen bestückt, die Kommunion und das heilige Krankenöl lagen aus. An den anderen Altären sah es nicht anders aus.
    «Was hat das zu bedeuten?», fragte Mechthild verblüfft.
    Clara zuckte die Schultern. Mehr und mehr Menschen, in der Mehrzahl Frauen, fanden sich ein und blieben fassungslos vor dem Altar stehen.
    «Potzhundertgift! Was für ein Schelmenstück!» Die Frau des Fleischers Aberlin Lacher hatte sich nach vorne geschoben und schlug mit der Faust auf den Altar. «Lässt man uns in unsrer Not jetzt ganz allein? Sollen wir uns Segen und Sakramente etwa selber spenden?»
    Unmut wurde laut, bis jemand rief: «Holen wir den Pfaffen halt her.»
    «Genau – der Kerl hat sich bestimmt in der Sakristei versteckt.»
    Mechthild und Clara folgten den anderen hinüber zur Sakristei, doch die Tür war verschlossen. Wütend hämmerten die, die vorne standen, gegen die Tür, bis sie aus den Angeln sprang. Der kleine Raum war leer.
    «Auf ins Pfarrhaus!»
    Unter aufgebrachtem Gezeter strömten die Kirchgängerinnen zum Portal, wo sich ihnen prompt der Kreuzbruder entgegenstellte.
    «Wenn ihr Pfarrer Cunrat sucht: Der hat sich auf die Burg verzogen.» Der alte Mann schnaubte verächtlich. «Ich denk, so schnell seht ihr den nicht wieder.»
    Das Geschrei nahm zu, jetzt wurden böse Schimpfworte laut wie «Kuttenbrunzer», «verhurter Pfaff» und «Grafenbastard».
    «Dann ziehn wir halt vor die Burg», rief die Lacherin. «Soleicht soll der uns nicht davonkommen! Holen wir von daheim

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