Der Pestengel von Freiburg
Einkauf zurück, durchgefroren und reichlich missgelaunt. Es war ein Freitag, der Tag, an dem Heinrich schon frühmorgens die Läden im Erdgeschoss öffnete und das Banner mit dem Becken herauszuhängen pflegte, zum Zeichen, dass er fürs Scheren und Balbieren bereit war. Einmal in der Woche ging er noch diesem Handwerk nach. Zu den Stammkunden, die dann sein Häuschen am Eingang der Webergasse aufsuchten, zählten etliche Ratsherren, die vor oder nach ihrer freitäglichen Sitzung hereinschneiten. Dank ihnen wusste Heinrich über die Belange der Stadt recht gut Bescheid. Zumeist waren es Handwerksmeister oder auch Zunftmeister der achtzehn Freiburger Zünfte, angesehene Bürger also, die auf ein Jahr in den Rat der Neuen Vierundzwanzig gewählt waren. Auch Behaimer gehörte seit Johanni letzten Jahres dazu, doch der zog es vor, sich von Meister Günther, dem Hofbarbier der Grafenfamilie, rasieren zu lassen. Das taten auch die meisten der Freiburger Patrizier, jene reichen Kaufherren, Ritter und Edelfreie, die fast ausnahmslos auf Lebenszeit zum Alten Rat gehörten und alle irgendwie miteinander verschwippt und verschwägert waren. Sie allerdings holten sich Meister Günther in ihre Trinkstube im Haus Zum Ritter, einem der prächtigsten Häuser der Stadt am Kirchhof. Ihre Eheweiber hatten dort keinen Zutritt, wohl aber hübsche junge Dinger, die ihnen den Schertag mit ihrer Offenherzigkeit versüßten.
Auch wenn Clara sich in ihrem Heim noch so wohlfühlte –an diesen Freitagen empfand sie es als überaus bescheiden. Das Haus Zum Schermesser war schmaler als die Nachbarhäuser der Juden und erst recht kleiner und niedriger als die vornehmen Stein- und Fachwerkbauten der Reichen, die die Marktgasse säumten. Man gelangte nicht von der Straße her hinein, sondern seitlich durch eine Hofeinfahrt mit gemauertem Rundbogen. Die Haustür, in deren Sturz das Hauszeichen, ein Schermesser, gemeißelt war, öffnete sich zu einer winzigen, dunklen Diele. Von hier gingen drei Türen ab. Die rechte führte in die Wohnstube, die mit zwei großen Fensteröffnungen zur Straße hin lag, geradeaus ging es in die Küche und links, zum Hof und Garten hin, in einen kleinen Stall. Dort hatte Heinrichs Großvater noch seine Milchkuh untergebracht, inzwischen beherbergte er die beiden Ziegen und einen Verschlag mit Stallhasen. In das Obergeschoss gelangte man von der Hofeinfahrt her über eine bedachte Außentreppe. Drei Schlafkammern gab es dort, einfache Räume mit losen Bretterböden, die dünnen Wände aus mit Lehm verputztem Flechtwerk. Die winzigen Fensterlöcher ließen nur wenig Luft und kaum Licht herein, und es stank immer ein wenig nach Ochsengalle und Essig, womit Clara regelmäßig die Bettladen einrieb. Ihrer Ansicht nach war dies das einzig brauchbare Mittel gegen Wanzen und Flöhe. Von ihrer eigenen Schlafkammer aus erreichte man über eine Bohlenstiege schließlich den hohen, steilen Dachboden. Der bot Platz für ihre Vorräte, die sich mit einer Seilwinde von außen heraufhieven ließen, diente bei Regenwetter zum Trocknen der Wäsche und in den warmen Monaten zum Dörren der Früchte.
Einen Keller wie die großen Bürgerhäuser besaß ihr Haus nicht. Bis auf das gemauerte Erdgeschoss war es aus Holz, auch das Dach mit seinen Schindeln, die mit Feldsteinen beschwertwaren und die Heinrichs Vater einst rot gefärbt hatte, damit sie wie die Ziegel der Reichen aussahen. Doch der Regen hatte die Farbe längst ausgewaschen.
Auch wenn sie also fürwahr kein Patrizierhaus bewohnten, sagte sich Clara, dass sie zu Recht stolz sein durften auf ihren Besitzstand. Mit Benedikts Hilfe und Geschick hatten sie in den letzten Jahren einiges erheblich verbessert. So waren die Böden von Küche und Wohnstube inzwischen mit Ziegeln gefliest und somit gut reinzuhalten. Die ehemals offene, mit Lehm ummantelte Feuerstelle in der Küche hatte Benedikt durch einen gemauerten Herd mit Rauchhaube und Abzugsschlot ersetzt. Der Abzug wärmte die benachbarte Stube ebenso wie die Schlafkammern darüber ein klein wenig mit. Und seitdem Heinrich zu jeder Fronfaste einen zusätzlichen Lohn aus dem Stadtsäckel bezog, stapelten sich auf ihrem Küchenbord neben den irdenen Schüsseln mehr und mehr Kochgeschirre aus teurem Messing und Zinn. Auch waren die beiden Fenster der Stube mit neuen, hauchdünn gegerbten Häuten bespannt, die an freundlichen Tagen ausreichend Licht hereinließen.
Claras größte Freude indessen war der Blumen- und Kräutergarten zur
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