Der Pestengel von Freiburg
er.
Sie schrak auf. «Um Himmels willen – wie siehst du denn aus? Bist du überfallen worden?»
«Nein. Ich hatte nur eine Rechnung zu begleichen.»
«Das scheinst du in den letzten Monaten öfter zu haben.» Sie sah ihn prüfend an.
«Wie geht es meiner Mutter?», fragte er.
«Schlecht. Du musst mir helfen und für uns beide beten. Ich werde die Beulen aufschneiden.»
«Hast du das denn je gemacht?» Er konnte nicht verhindern, dass seine Stimme zitterte.
«Nein. Aber es ist die letzte Möglichkeit, sie zu retten.» Sie ging zum Herd und tauchte das Messer in kochendes Wasser. «Außerdem hab ich ihr oft genug dabei zugesehen, wenn auch nur von weitem.»
«Mein Vater hat mir gesagt, wie gefährlich das ist. Wenn dich der giftige Eiter berührt, musst du sterben.»
Sie lachte plötzlich, und es klang sogar echt: «Ja nun – dann bekomm ich vielleicht ein Plätzchen im Himmelreich.»
Kapitel 34
C lara schlug die Augen auf. Das Erste, was sie über sich erblickte, war das Gesicht eines jungen Mannes mit Bartstoppeln und eingefallenen Wangen, der sie aus hellblauen Augen voller Sorge betrachtete.
«Mutter? Bist du wach?»
Die Welt kehrte zu ihr zurück.
«Mein Junge», murmelte sie. Sie spürte etwas Warmes unter ihren Achseln, wollte den Kopf heben, fand aber nicht die Kraft dazu. Auch tat das helle Tageslicht ihr in den Augen weh. Hatte sie doch eine Ewigkeit im Reich der Finsternis verbracht, wo höllische Schmerzen und brennender Durst regiert und Dämonen und tierische Fratzen sie heimgesucht hatten. Gleichwohl war da auch noch etwas anderes gewesen: Ihr geliebter Heinrich war am Ende gekommen, um sie zu trösten.
«Du bist – nicht tot – nein?», presste sie mühsam hervor.
«Nein, Mutter. Und du auch nicht. Du wirst jetzt gesund.»
Über die Wangen ihres Sohnes rannen unaufhörlich die Tränen.
So gern hätte sie dieses vertraute Gesicht weiterhin betrachtet, aber das Licht war gar zu grell. Mit einem Lächeln schloss sie die Augen wieder und lauschte Benedikts Stimme, die gar nicht aufhören wollte zu reden.
«Ohne Mechthild hättest du es nicht geschafft. Sie hat alles für dich getan, sogar die Beulen aufgeschnitten. Vorsicht, ich hebe jetzt deinen Arm an, ganz langsam. Wir legen immer eineKompresse aus warmem Zwiebelmus auf die Wunden, so, wie du sie es gelehrt hast.»
Sie spürte seine wunderbar warmen Hände auf ihrer Haut.
«Jetzt musst du nur noch zu Kräften kommen. Du musst wieder essen, auch wenn es schwerfällt. Soll ich die Fensterläden schließen? Ich wollte nur kurz frische Luft hereinlassen. Heute regnet es einmal nicht, weißt du. Es ist nämlich längst Herbst, und die Nächte sind schon bitterkalt. Mechthild wird auch gleich nach dir sehen, sie ist noch unterwegs bei den Kranken. Heute zum ersten Mal. Sie war nämlich Tag und Nacht in deiner Nähe.»
«Ach, Benedikt, mein Junge», unterbrach sie seinen Redefluss. «Ich bin so glücklich, dass ich wieder bei euch bin.»
Von diesem Tag an übernahm Benedikt ihre Pflege. Ihr Zustand besserte sich nur allmählich, abgemagert und geschwächt, wie sie war. Doch die Wunden unter der Achsel und am Hals heilten sichtbar. Und das Erstaunlichste war: Mechthild hatte sich nicht angesteckt. Dafür war Benedikt dem Herrgott unendlich dankbar.
Wenige Tage nachdem Clara wieder zu Sinnen gekommen war, kehrte Mechthild von ihrem Rundgang durch die Stadt früher als erwartet zurück. Sie wirkte durcheinander, irgendwie fassungslos, als sie zu Benedikt in die Küche trat. Er war gerade dabei, Hühnerklein abzukochen, von der mit Sicherheit letzten Henne, die in den Freiburger Gassen aufzutreiben gewesen war.
«Es gab heute keine Pesttoten.» Mechthild bekreuzigte sich mit bebenden Fingern. «Schon gestern nicht. Und auch keine neuen Erkrankungen.»
Benedikt starrte sie an.
«Du meinst – es ist vorbei?»
«Vielleicht.»
«Dann müssen wir es Mutter sagen, jetzt gleich. Das wird sie schneller gesund machen. Und Daniel und die Kinder kann ich dann auch wieder holen. Am besten heut noch!»
Sie schüttelte den Kopf. «Nein, Benedikt, warten wir noch ein paar Tage ab. Damit wir Gewissheit haben. Ich kann es einfach noch nicht glauben.»
Clara saß aufrecht im Bett, während sie ihren Becher Hühnerbrühe schlürfte.
«Jetzt hast du allmählich wieder Farbe im Gesicht», sagte Mechthild. Sie hatte einen Schemel neben das Bett gerückt und sah ihr beim Essen zu.
Clara nahm einen letzten Schluck, dann reichte sie den Becher
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