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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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öffnete die Tür zu Benedikts Schlafkammer. Müde setzte sich Esther auf den Bettrand und zog sich Schuhe und Gewand aus. In ihrem dünnen Leinenhemd sah sie noch zarter und zerbrechlicher aus.
    Sie strich über das Kopfkissen. «Ist das sein Bett?»
    «Ja. Jetzt leg dich hin und nimm dein Kindchen zu dir.»
    «Ein bisschen schlafen wäre schön. Es war sehr weit von Villingen hierher.»
    Esther schlüpfte unter die Decke, nahm Lea entgegen und legte sie sich an die Brust. Ohne die Augen zu öffnen, fand der Säugling die Quelle seiner Nahrung und saugte mit seiner ganzen Kraft. Eine Zeit lang war nur noch leises Schmatzen zu hören.
    «Wohnt Benedikt bei euch?», fragte Esther, ohne die Augen von ihrer Tochter zu lassen.
    «Bei mir. Heinrich hat die Pestilenz nicht überlebt.»
    «Das tut mir sehr leid, Gevatterin.»
    «Ach Esther, ich bin nicht mehr die Jüngste und werde ihn bald wiedersehen dort oben, so Gott es will. Aber du, du hast das Leben noch vor dir, du und dein kleines Mädchen   …» Sie brach ab.
    Was redete sie da nur für wirres Zeug? Sie unterdrückte ein Seufzen und fügte leise hinzu: «Du ahnst nicht, wie glücklich ich bin, dass du heimgekehrt bist.»
    «Ich bin nicht heimgekehrt, Gevatterin. Ich wollte mich nur von meiner Familie verabschieden, an dem Ort, an dem sie umgekommen ist. Ich werde bald weiterziehen, noch vor dem Winter.»
    «Und Benedikt? Bist du nicht auch wegen ihm gekommen?»
    Ein Anflug von einem Lächeln zeigte sich um Esthers Lippen. Anstelle einer Antwort fragte sie: «Hat er denn keine Braut?»
    «Nein. In seinem Herzen hat nie eine andere Platz gefunden.»
    Clara las erst Freude, dann Enttäuschung in ihrem Gesicht.
    «Aber warum ist er nicht gekommen an jenem Tag? Warum hat er sein Wort gebrochen?»
    «Das hat er nicht. Es ist meine Schuld, dass er zu spät kam. Ich hatte ihn zurückgehalten, am Morgen eurer Verhaftung.»
    Esther nickte ernst. «Dafür hast du mein Leben gerettet. Obwohl ich damals nichts lieber wollte als sterben.» Sie strich dem schlafenden Kind über die Wangen. «Jetzt bin ich dir dankbar dafür, dass ich lebe.»
    Clara setzte sich zu ihr auf den Bettrand.
    «Benedikt hatte von alldem nichts gewusst. Dass ich dich aus dem Gefängnis geholt habe und du nach Straßburg gegangen bist. Ich wollte, dass er dich vergisst.» Vor Scham stiegen ihr die Tränen in die Augen. «Kannst du mir das verzeihen?»
    Jetzt lächelte Esther tatsächlich, ein glückliches Lächeln, wie es Clara schien. Eine Felsenlast war ihr vom Herzen genommen, und sie fuhr nach einem Augenblick des Schweigens fort:
    «Erst als wir hörten, dass man auch in Straßburg gegen die Hebräer gehen würde, hatten wir ihm gesagt, wohin du geflohen warst. Er war sofort losgeritten, kam aber auch dieses Mal zu spät. Die Scheiterhaufen hatten schon gebrannt. Danach war er nicht mehr derselbe.»
    Sie nahm Esthers Hand und drückte sie fest.
    «Soll ich dich allein lassen, oder magst du mir erzählen, wie du aus Straßburg entkommen konntest?»
    «Bleib noch einen Augenblick. Ich will es dir erzählen.»

Kapitel 35
    A n den Weg von Freiburg nach Straßburg kann ich mich kaum erinnern. Zwei Tage war ich unterwegs, ohne Rast und ohne zu essen. Wie in einem Traum. Die Nacht hatte ich in einer Feldscheuer verbracht, halb wach, und bin dann weiter, immer allein. Einmal haben mir drei Burschen aufgelauert, aber ich konnte mich am Ende wehren und kam mit Hilfe des Allmächtigen davon. In Straßburg dann stand ich irgendwann vor dem Haus von Salomon ben Ariel. Seine Familie hatte mich herzlich aufgenommen und getröstet. Man hatte mir eine eigene kleine Kammer gegeben, wo ich endlich ungestört weinen konnte. Zwei Wochen war ich dort oder auch ein bisschen länger.»
    Esther machte eine Pause, dann fuhr sie fort, erst stockend, schließlich in raschen Sätzen, als wolle sie sich diesen Abschnitt ihres Lebens nun endgültig von der Seele reden.
    Sie und Uri ben Salomon hatten vor dem Hausvater ihre Heiratsvereinbarung erneut feierlich bekräftigt. Man hatte sich in der Straßburger Gemeinde in Sicherheit gewiegt, weil doch die Ratsherren hinter ihren Juden standen. Aber dann war der schwarze Tag gekommen. Wer sich nicht taufen lassen wollte, wurde abgeholt, am Tag vor dem Schabbat, und auf den Kirchhof getrieben. Nur die Schwangeren und die kleinsten Kinder wurden verschont.
    «Auch in unser Haus kamen am Morgen die Büttel, bewaffnet und mit großem Gepolter. Ich lag auf dem Bett in meinerKammer,

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