Der Pestengel von Freiburg
und Hellebarden bewehrte Wächter am Eingang zur Gasse, aber das war auch nicht wirklich beruhigend.
Als es dann draußen endlich stiller wurde, hatte sie von der Kammer nebenan Schritte gehört. Auch Benedikt schien nicht schlafen zu können. Unablässig hörte sie die Dielenbretter unter seinen Füßen knarren, kaum war Ruhe eingekehrt, hob das Knarzen von neuem an.
Sie beschloss sich anzukleiden und den Herd einzuheizen. Als sie die Außentreppe nach unten stieg, war der Nachthimmel sternenklar. Der Sturm hatte sich gelegt, die Stadt lag noch friedlich im Schlaf. Im Osten deutete ein erster heller Schein über den Hausdächern den Morgen an, den Morgen des Feiertags der Beschneidung des Herrn.
In der Herdglut des Vorabends entzündete sie einen Kienspan, der die Küche in sein spärliches Licht tauchte. Ihr Blick fiel auf die Tür der Vorratskammer. Hatte sie sie offen gelassen? Schon ihren Jüngsten hatte sie eingebläut, die Tür immerfest zu verschließen, der Mäuse und Ratten wegen. Als sie die Schwelle der Kammer betrat, bemerkte sie sofort, dass eines der Brote fehlte. Und ein Stück Hartkäse dazu. Verwirrt schloss sie die Tür und begann, den Herd anzufeuern. Da ließ ein gedämpftes Rumpeln von der Stube her sie zusammenfahren. Jemand war eingebrochen! Irgendwer schlich im Haus herum und machte sich an ihren Sachen zu schaffen!
Nach der ersten Schrecksekunde zog sie den Bratspieß vom Haken und trat beherzt hinaus in die Diele, den Spieß in der einen, den Kienspan in der anderen Hand. Hinter der Stubentür war alles still. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und stieß mit dem Fuß die Tür auf. Im ersten Augenblick erkannte sie nicht, wer da vor ihr stand, mindestens ebenso erschrocken wie sie, mit einem Bündel unter dem Arm. Ums Haar hätte sie mit ihrem Bratspieß ausgeholt.
«Benedikt!»
Mit offenem Mund stand ihr Ältester vor ihr.
«Was tust du hier? Warst du an den Vorräten? Und was soll der Reisesack unter deinem Arm?»
«Lass mich, Mutter.» Benedikt schob sie zur Seite. Er wollte zur Haustür hinaus, doch sie stellte sich ihm in den Weg.
«Hiergeblieben. Erst beantwortest du meine Frage.»
«Bitte, lass mich gehen.»
Sie riss ihm den Sack aus der Hand und umklammerte seine Handgelenke. Er versuchte, sie abzuschütteln, aber mit einem Mal verfügte sie über eine Kraft, die sie selbst erstaunte. Unsanft zerrte sie ihn in die Küche.
«Wo wolltest du hin?»
Als er nicht antwortete, packte sie ihn bei den Schultern und schüttelte ihn.
«Antworte mir!»
«Ich konnte nicht schlafen. Und dann wollte ich ein paar Sachen rüber ins Gesellenhaus bringen.»
«Und dafür hast du Brot und Käse gestohlen? Du lügst doch.»
Trotzig verzog er das Gesicht.
«Lass mich endlich gehen. Esther wartet auf mich.»
«Esther? Hast du gesagt: Esther?» Ihre Stimme überschlug sich. Schlagartig hatte sie begriffen. Ihr Sohn war drauf und dran gewesen, mit Esther Grünbaum die Stadt zu verlassen!
«Na, warte. Das kannst du gleich deinem Vater erzählen.»
Ehe Benedikt reagieren konnte, hatte sie ihn bereits in die Vorratskammer gestoßen und von außen den Riegel vorgeschoben. Zur Sicherheit stemmte sie auch noch den Tisch gegen die Tür. Draußen auf der Treppe kam ihr auch schon Heinrich entgegen.
«Was ist das für ein Getöse hier unten?», fragte er.
«Benedikt – er wollte verschwinden – mit Sack und Pack. Komm rasch.»
Als sie in die Küche zurückkehrten, hörte sie Benedikt gegen die Vorratskammertür hämmern.
«Er wollte sich mit Esther davonmachen», stieß sie hervor. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. «Draußen in der Diele liegt sein Reisebündel.»
«Das glaub ich nicht.» Heinrich schob den Riegel zurück und zog Benedikt in die Küche. Dessen Gesicht sah grau aus, trotz des warmen Feuerscheins.
«Setz dich!»
Benedikt gehorchte stumm. Seine Bewegungen wirkten kraftlos, als er sich auf die Küchenbank sinken ließ.
«Wohin wolltest du mit dem Mädchen?»
«Weg von hier. Nach Krakau.»
«Nach Krakau», wiederholte Heinrich fassungslos. «Du und Esther.»
Benedikt nickte nur.
«Clara, du gehst jetzt gleich zu den Grünbaums rüber. Sag ihnen, was die beiden vorhatten. Ich bleib bei dem Jungen.»
Hastig warf sich Clara ihren Umhang über und lief hinaus. Als sie die Haustür öffnete, hörte sie in der Morgendämmerung vom Markt her eine Menschenmenge lärmen. Sie öffnete das Hoftor und begriff zunächst gar nicht, was da zu so früher Stunde vor sich ging. Eine
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