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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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ganze Horde Männer und Frauen, einige mit Knüppeln und Sensen bewaffnet, drängte in ihre Gasse, vorweg die städtische Scharwache, die vergebens versuchte, die Meute einigermaßen im Zaum zu halten. Hunde sprangen herum und kläfften, ein verschrecktes Huhn flatterte zur Seite, ein Kind kreischte. Clara erkannte den Karrenbeck und seinen Sohn, die Flickschneiderin Thine, Meinwart Tucher mit seinem ältesten Bruder Herrmann und zu ihrer Verblüffung die Steirer Elsbeth, die mit ihren angeblich doch so steifen Gliedern hurtig mithielt.
    «Her mit dem Judenpack!», brüllte der Erste, und die anderen fielen ein.
    Clara stellte sich einem der Stadtknechte in den Weg. «Was habt ihr vor?»
    Doch der stieß sie grob zur Seite. «Lass uns unsre Arbeit machen.»
    Da entdeckte sie Moische in der Toreinfahrt seines Hauses, im dünnen Nachtrock und mit angstverzerrtem Gesicht. Drei Burschen lösten sich aus der Menge und rannten auf ihn zu, zerrten ihn aus der Einfahrt, stießen ihn zu Boden und rissen ihm den Nachtrock vom Leib. Einer von ihnen war der, der Moische mit dem Messer bedroht hatte.
    Jemand trieb ein buntgeschecktes Schwein heran, andere stürzten sich auf das Tier und hielten es fest.
    «Setzt ihn drauf!»
    Die Burschen zerrten den halbnackten Moische, der sich nicht einmal wehrte, auf das strampelnde Schwein. Der Rotbärtige brach in Gelächter aus.
    «Seht her, die alte Judensau!»
    «Judensau» – «Judensau», brüllten die Umstehenden im Chor, während das Schwein auf seinen kurzen Beinen davonzugaloppieren versuchte und dabei durchdringend quiekte. Als es sich endlich befreien konnte, verloren die Umstehenden das Interesse und strömten gegen das Haus Zum Grünen Baum. Inzwischen war die Menge auf an die hundert Menschen angewachsen.
    Clara stürzte zu Moische, der zusammengekauert im Dreck lag.
    «Warte, ich helf dir.»
    Einer der Scharwächter riss sie weg. «Verschwinde, Grathwohlin, oder ich sperr dich ebenfalls ein.»
    «Wer soll hier eingesperrt werden?»
    «Die Juden natürlich. Beschluss des Rats. Sie kommen zum Verhör. Und jetzt geh mir aus dem Weg!»
     
    Benedikt tat etwas, was er nie für möglich gehalten hätte. Nachdem sein Vater ihm wütend und mit Donnerstimme vorgehalten hatte, dass er mit seinem kindischen Vorhaben beinah zwei Familien ins Unglück gestürzt hätte und dass er nun mal nicht den Lauf der Dinge anhalten könne, war von draußen durch die geschlossenen Läden das Geschrei hereingedrungen. Benedikt begriff sofort, was das zu bedeuten hatte. Er sprang auf, rannte an seinem Vater vorbei zur Küche hinaus. Der wollteihn aufhalten, aber Benedikt wehrte ihn ab und versetzte ihm am Ende einen so harten Faustschlag gegen die Brust, dass er zu Boden ging. Da war er auch schon draußen im Hof, hörte aus dem Tumult heraus seine Mutter schreien, stürzte auf die Gasse, mitten hinein in die aufgebrachte Menge, die eben in die Hofeinfahrt der Grünbaums drängte und mit vereinten Kräften die Haustür aufbrach.
    Er musste Esther da rausholen! Hinten, über den Garten, würden sie fliehen können. Er kämpfte sich durch die Menschenleiber, sah hinter sich, im Augenwinkel, seine Mutter den Arm nach ihm ausstrecken, hörte das Gebrüll der Menschen in seinen Ohren gellen. Endlich hatte er die Haustür erreicht, die halb geborsten und schief in den Angeln hing. Unmittelbar vor ihm drängte Meinwart ins Haus, der wie alle andern brüllte: «Raus mit den Juden!» – «Die Hebräer sollen brennen!»
    Als Benedikt ihn zur Seite stoßen wollte, begann der andere höhnisch zu grinsen: «Jetzt holen sie deine Judenmetze!» Benedikt schlug ihm mit der Faust gegen das Kinn, doch der Gegenschlag kam prompt und mitten ins Gesicht. Funken tanzten vor seinen Augen, dann folgte der nächste Schlag, und er stürzte zu Boden, krachte mit dem Hinterkopf gegen eine der Treppenstufen. Um ihn herum verlor sich alles in schwerer, klebriger Dunkelheit.
     
    Als er die Augen aufschlug, fand er sich mitten in der Wohnstube seines Elternhauses, auf ein weiches Schaffell gebettet. Über ihm schwebte das besorgte Gesicht seines Vaters.
    «Er kommt zu sich.»
    Benedikt wollte sich aufrichten, doch seine Glieder gehorchten ihm nicht.
    «Bleib liegen, Junge. Die Meute hat dich niedergetrampelt. Kannst froh sein, wenn noch alle Knochen heil sind.»
    Jetzt erst fiel Benedikt auf, wie still es draußen war.
    «Was ist mit unseren Nachbarn?», brachte er mühsam hervor. Nicht nur sein Gesicht, sein ganzer Körper

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