Der Pestengel von Freiburg
aus Blut, Urin, gemahlenen Hostien und hochgiftigen Kräutern. Aber dem nicht genug: Der oder die Missetäter waren nicht davor zurückgeschreckt, den Knecht des städtischen Brunnenmeisters zu erdolchen! Der brave Mann hatte die Giftleger wohl aufgeschreckt und dafür mit dem Leben bezahlen müssen. Elendig verblutet war er, und nun weinten sein Weib und sieben halbwüchsige Kinder um ihn.
Am selben Tag noch wurden die ersten Gefangenen unter dem Vorsitz des Schultheißen, Ritter Johann Snewlin, peinlich befragt. Man hatte sich zunächst die jüngeren Männer herausgegriffen, wohl in der Überzeugung, sie hingen mehr an Leib und Leben als die älteren. Im Keller unter dem Rathaus hatte man ihnen mit Daumenschrauben die Finger gequetscht, bis die Nägel von den Kuppen sprangen, doch keiner von ihnen tat den Mund auf, um zu gestehen. Erst als der junge jüdische Arzt Gutlieb an der Reihe war, kamen die Inquisitoren der Sache ein Stück näher.
Das Gift habe wohl ein Jude zu Ihringen aus Jerusalem über das Meer nach Straßburg und Freiburg gebracht. Es sei eine Substanz, die für Juden unschädlich, für Christen aber tödlich sei. Aber er und die Freiburger Juden hätten damit nichts zu schaffen; ein geheimer «Judenrat» in Jerusalem habe die Brunnenvergiftung gesteuert und zur Ausführung Juden in alle Weltgesandt. Mit dieser Aussage ließ das Stadtgericht es fürs Erste bewenden.
Als gegen Mittag Heinrich in die Fragstatt beordert wurde, um den Zustand der jungen Männer, darunter auch Aaron Grünbaums, eidesstattlich zu bezeugen – da verweigerte Heinrich zum ersten Mal in seinem Leben den Befehl. Es gebe schließlich außer ihm noch einen zweiten geschworenen Wundarzt – solle man doch den Meister Arbogast holen. Es sei nämlich Freitag, und da habe er seine Stube fürs Scheren und Balbieren geöffnet.
In Wirklichkeit hätte es ihm das Herz zerrissen, die Geschundenen untersuchen zu müssen, ohne ihnen helfen zu dürfen. Das nämlich war Sache des Scharfrichters. Natürlich war an diesem Vormittag keine Menschenseele bei ihm erschienen. Alle Welt versammelte sich rund um Ratsstube und Kanzlei, um nur ja keine Neuigkeit zu verpassen, oder auch nur, um dem Schmerzensgebrüll der Delinquenten zu lauschen.
Als nach dem Mittagsläuten dann doch der erste Kunde zum Bartscheren eintraf, bat Heinrich Clara, für den heutigen Tag Johannas Aufgabe zu übernehmen und für frisches Wasser und Gewürzwein zu sorgen. «Das Mädchen leidet sehr unter der Geschichte», sagte er leise, nachdem er seine Tochter zum Fleischpökeln in die Küche geschickt hatte. «Ich möchte nicht, dass sie mit anhören muss, was den Juden heute geschehen ist. Du weißt ja, wie viel beim Balbieren getratscht wird.»
Clara hätte ihm gern entgegnet, dass auch sie das alles kaum noch ertrug, schwieg aber tapfer. Keine Stunde später erschienen die Ratsherren Pfefferlein und Neumeister, wie immer zu zweit und gesättigt von ihrer Mahlzeit im Bärenwirtshaus.
«Tja, Meister Heinrich, nun ist es also auch in unserer Stadt so weit», begann Neumeister, der sich als Erstes im Barbierstuhlniederließ. «Bis jetzt haben sich ja im Rat einige quergestellt, allen voran der Tucher.»
«Gottfried Tucher?», fragte Clara erstaunt.
«Aber ja. Ich habe seine Worte noch im Ohr, als die Nachricht aus Basel kam: Wie könne man nur so dumm sein, die Juden zu vernichten? Wie wollten die Kaufherren ohne deren weitreichende Handelsbeziehungen auskommen? Und wie die Bürger, wenn ihnen das Geld fehle für eine anstehende Hochzeit oder eine wichtige Anschaffung? Dergleichen hat er gesagt, unser Gottfried, und denkt wohl immer noch so. Dabei werden unter der Kaufmannschaft längst Stimmen laut, dass der Geldverkehr endlich unter eigene, christliche Kontrolle gebracht werden müsse.»
«Und er vergisst eines», ergänzte Pfefferlein. «Dass nämlich inzwischen ein Gutteil der Bürger, auch der Kaufherren, bis zur Halskrause bei den Hebräern verschuldet ist. Der Zins steigt und steigt, und die, die gegen Pfand geliehen haben, werden ihre Pelze und Schmuckstücke nicht so bald auslösen können.»
«Oder eben doch», grinste Neumeister. «Ich meine, spätestens, wenn sich der Mord am Brunnenstubenwächter und damit die Verschwörung der Juden bestätigt, wird der Pöbel nicht länger zu halten sein. Dann kommt es wie in Basel, wo das Volk losgestürmt ist, weil der Rat zu lange gezögert hat.»
«Das glaubt Ihr nicht im Ernst», sagte Heinrich mit ruhiger
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