Der Pestengel von Freiburg
kniete sich vor ihr ins Stroh.
«Ihr dürft die Hoffnung nicht aufgeben. Ihr habt nichts Schlechtes getan, und deshalb wird man euch wieder freilassen. Bis ihr zurückkommt», sprach sie jetzt dicht an Deborahs Ohr,«bewahren wir eure Kiste bei uns auf. Mach dir also keine Sorge wegen Plünderern. Bekommt ihr genug Brot?»
Deborah gab keine Antwort. Stattdessen fragte Esther: «Was ist mit Benedikt geschehen?»
Clara spürte einen Stich in ihrem Herzen. «Er war nur ohnmächtig. Es geht ihm wieder besser.»
Esther sah kurz zu ihrer Mutter, dann beugte sie sich zu Clara vor und flüsterte: «Warum ist er nicht gekommen? Er hat mich holen wollen vor Sonnenaufgang.»
Clara biss sich auf die Lippen. Sie beschloss zu lügen.
«Davon weiß ich nichts. Ich habe ihn jedenfalls, als der Pöbel kam, erst wecken müssen.»
Kapitel 13
B enedikt hatte keine Hoffnung mehr.
Er stand vor der Kommode und betrachtete Esthers steinernes Konterfei, das er mit drei kostbaren Wachskerzen umstellt hatte. Wie vor einem Altar hatte er hier jeden Morgen und jeden Abend gekniet und gebetet, dass Esther und ihre Familie freikämen. Hatte die Augen geschlossen und sich an ihre zärtlichen Küsse, an ihre leidenschaftliche Umarmung erinnert, bis ihm jedes Mal die Tränen über das Gesicht gelaufen waren. Zugleich war er voller Hass gegen seine Mutter, die ihre gemeinsame Flucht im letzten Augenblick verhindert hatte. Nie wieder wollte er unter einem Dach mit ihr wohnen, mehr noch: ihr nie wieder begegnen.
Glücklicherweise war er an jenem Morgen der Verhaftung, als er mit schmerzenden Gliedern und zerschrammtem Gesicht durch die Gassen gehumpelt war, Meister Johannes begegnet, auch er nicht wenig verstört über die Ereignisse. Der Baumeister war gerade im Aufbruch nach Gmünd begriffen, wo er die restlichen Winterwochen bei seinem Vater verbringen wollte, und hatte ihm aus freien Stücken angeboten, seine Wohnung zu hüten.
Nun lebte er wieder, wie dazumal als Hüttendiener, in der Meisterwohnung neben dem Pfarrhaus. Nur musste er diesmal nicht unter der Stiege zum Dachboden schlafen, sondern durfte alles benutzen, wie es ihm beliebte, und hatte zudem ein breites Bett mit warmer Daunendecke zum Schlafen. Dochum seiner Mutter aus dem Weg zu gehen, hätte er auch in einem Kellerloch genächtigt.
Benedikt fegte die zu Stumpen herabgebrannten Kerzen von der Kommode, nahm die Büste hoch und schob sie tief unter die Bettlade. Es hatte alles keinen Sinn – es tat nur unnötig weh. Er würde die Figur Meister Johannes bei dessen Rückkehr anbieten. Sollte er damit machen, was er wollte. Da Gott sein auserwähltes Volk augenscheinlich endgültig aufgegeben hatte, brauchte es auch keine Gebete mehr.
Von seinem alten Freund Daniel hatte er heute erfahren, was in Basel geschehen war. Nach der Friedhofsschändung hatte sich die Lage zunächst beruhigt, bis vor zwei Tagen eine aufgehetzte Horde alle Juden, deren sie habhaft werden konnte, auf eine Sandbank im Rhein getrieben hatte. Dort war eine Holzhütte errichtet, die man, nachdem auch der letzte darin verschwunden war, verschlossen und angezündet hatte, sodass alle darin verbrannten oder erstickten – über hundert Menschen, darunter Frauen und Kinder. Nur die Jüngsten hatte man verschont. Sie wurden zwangsgetauft und in die umliegenden Klöster verschleppt.
Bis zum heutigen Tag hatte Benedikt nicht wissen wollen, wo die Freiburger Juden gefangen saßen. Er hätte es nicht ertragen, sich vorzustellen, in welchem Kerker Esther frierend und verzweifelt auf ihr weiteres Schicksal wartete. Doch jetzt, wo er ohnehin keine Hoffnung mehr sah, hatte er Daniel gefragt und erfahren, dass man die Frauen und Kinder in den Keller des Spitals gesperrt hatte.
Kurz entschlossen nahm er seinen Umhang vom Haken und ging hinaus in die frostige Dämmerung. Vom Kirchhof zum Spital waren es nur wenige Schritte. In der Seitengasse, etwa dort, wo er unter den Werkstätten den Keller vermutete, hockteer sich nieder, schloss die Augen und hielt stumme Zwiesprache mit Esther. Sie sollte wissen, dass er ganz in ihrer Nähe war. Wenn er nur fest genug an sie dachte, dann würde sie es ganz gewiss spüren.
Seine Glieder wurden nach und nach taub vor Kälte, und vielleicht wäre er ja erfroren, hätte ihn nicht der Nachtwächter aufgeschreckt und mit strengen Worten gerügt, weil er in der Dunkelheit kein Licht bei sich trug.
Behaimer stand frierend in einer düsteren Gasse der Au und wartete. Er hatte kein
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