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Der Pestengel von Freiburg

Der Pestengel von Freiburg

Titel: Der Pestengel von Freiburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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Stimme, aber Clara bemerkte, wie seine Hände beim Schleifen des Schermessers zitterten. «Ihr glaubt doch nicht im Ernst, dass das Morden der Juden eine Sache des Pöbels gewesen ist? Das war doch alles sorgfältig vorbereitet, dort in Basel. Das Holzhaus auf der Sandbank hatten die Zimmerleute wenige Tage zuvor erst errichtet, und das sicher nicht ohne Auftrag von oben.»
    Neumeister sah ihn erstaunt an. «Man könnte grad meinen, du wolltest uns Ratsherren etwas unterstellen?»
    «Nun – jeder von Euch Ratsherren hat gewiss seine eigene Sichtweise der Dinge, und jeder muss seine Entscheidung mit Gott und seinem Gewissen ausmachen. Aber eines lässt sich nicht abstreiten: Wären die Juden in Basel und anderswo arm und hätte keiner Schulden bei ihnen, würden sie nicht brennen müssen.»
    «Grathwohl, Grathwohl   …» Neumeister schüttelte missbilligend den Kopf. «Solche Worte solltest du besser nicht allzu laut verkünden. Und jetzt fang endlich mit dem Scheren an. Die Ratsglocke wird gewiss gleich zur Sitzung läuten.»
     
    Nachdem Gutlieb, kaum dass er seine Aussage unterzeichnen sollte, widerrufen hatte, wurden in der folgenden Woche einer nach dem andern in die Marterkammer unter der Ratsstube geschleppt und verhört. Bei der kleinen Folter blieb es diesmal nicht. Wer von den Männern darauf beharrte, er wisse um all diese Dinge nichts und sei unschuldig, dem wurden mit Fackeln die Fußsohlen und Achselhöhlen verbrannt oder siedendes Pech in die aufgeschnittenen Waden gegossen.
    Gleichwohl kamen Snewlin und seine Schöffen kaum einen Schritt voran. Denn gemäß dem üblichen Rechtsverfahren suchte man auch hier nach der durch ein Geständnis zu offenbarenden Wahrheit. Nach der Tortur aber, wenn es an das Unterzeichnen der Geständnisse ging, widerriefen auch all die anderen Männer ihre Aussagen, und die peinliche Befragung begann von neuem. Den beiden Greisen Lämmlin und Hirsch erging es bei der zweiten Marter so schlecht, dass ihr Herz mittendrin zu schlagen aufgehört hatte, woraufhin der Scharfrichter eine böse Rüge einstecken musste.
    An jenem Tag weigerte sich Heinrich vergeblich, sein Amt auszuführen, und so musste er an Behaimers Seite die beiden Leichen beschauen. Nachdem er wieder zu Hause war, zog er sich für den Rest des Tages in seine Schlafkammer zurück, verriegelte die Tür und ließ nicht einmal Clara herein, als sie gegen Abend vorsichtig anklopfte. Von innen hörte sie ihn leise schluchzen.
    Da wusste Clara, dass es für ihre jüdischen Nachbarn kein Entrinnen mehr gab. Dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie alle sterben mussten. Sie ließ sich vor der Türschwelle zu Boden sinken. Jede einzelne ihrer oft boshaften Äußerungen gegen Deborah reute sie jetzt, und sie erkannte, dass nicht etwa Gottes Fügung ihre jüdischen Nachbarn vernichtete, sondern dass jeder einzelne von ihnen, auch sie selbst, sein Scherflein dazu beigetragen hatte. Und für den Tod eines dieser Menschen würde sie ganz allein verantwortlich sein, sie, Clara Grathwohl höchstselbst. Hätte sie Benedikt an jenem Morgen nicht zurückgehalten, wäre es ihm gelungen, Esther Grünbaum rechtzeitig in Sicherheit zu bringen.
    Diese Erkenntnis schmerzte sie plötzlich so sehr, dass sie sich wünschte, hier an der Schwelle zu ihrer Schlafkammer, in der eisigen Zugluft dieses schrecklichen Winters, an Esthers Stelle sterben zu dürfen. Doch schnell befreite sie sich von diesem Gedanken, denn schließlich trug sie Verantwortung für ihre Familie. Und als sie sich endlich dazu aufraffte, hinunterzugehen und ihren Kindern die Abendmahlzeit zu richten, schlich sich ein Gedanke in ihren Kopf, der einen winzigen Hoffnungsstrahl mit sich brachte.
     
    Zum Ende des Wintermonats war es so weit: Zahlreiche Geständnisse waren von den Angeklagten rechtsgültig bekräftigtworden. Sie hätten, so die Examinierten, mit den Breisacher und Straßburger Juden verabredet, allerorten die Brunnen zu vergiften. Einer von ihnen habe sodann ein spannenlanges Säcklein mit Gift in die Brunnenstube der Stadt gelegt und dabei den Knecht des Brunnenmeisters gemordet. Als Begründung hieß es, man habe endlich Rache nehmen wollen dafür, dass die Christen ihre Glaubensgenossen immer wieder ins Verderben geführt hätten. Lange genug seien die Christen Herren gewesen, jetzt wollten sie, die Juden, an der Reihe sein. So und so ähnlich lauteten fast alle Aussagen, und die Rädelsführer dieser Verschwörung meinte man in Meir Nase, Jeckeli

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