Der Pestengel von Freiburg
dass du mir mein Geld geklaut hast und mir Gewalt antun wolltest. – Und nicht nur dem, sondern aller Welt.»
Sie strich sich ihre Kleidung glatt.
«Du hast deinen Lohn bekommen, also erfüll auch deinen Auftrag. Zum Glockenschlag steh ich oben vor der Tür.»
***
«Wo willst du hin, zu so später Stunde?»
Clara wich Heinrichs Blick aus. «Ich hab bei der Steirer Elsbeth was vergessen. Bin bald wieder zurück.»
«Warte, ich begleit dich. Du sollst nicht immer allein im Dunkeln herumgeistern.»
«Nein, du musst nach Kathrin sehen. Sie hat wieder starke Bauchkrämpfe.»
«Du verheimlichst mir doch was.» Ihr Mann sah sie prüfend an.
Von der Pfarrkirche her verkündete die Turmuhr den baldigen Torschluss.
«Bitte, Heinrich, lass mich gehen. Kathrin wartet oben auf dich, es geht ihr wirklich schlecht.»
Damit schob sie ihn einfach zur Seite und trat mit ihrem Windlicht hinaus in den Hof, wo sie unter der Außenstiege ihr Bündel hinterlegt hatte: zwei alte, dunkle Umhänge und reichlich löchrige Schuhe für die Frauen, dazu zwei warme Wollkittel für die Kinder. Die hatte sie schweren Herzens Kathrin und Michel weggenommen, und sie würden ihnen fehlen in diesem Winter. Denn seitdem durch die Missernten der letzten Jahre alles so teuer geworden war, hatten auch sie keinen Pfennig mehr übrig.
Clara wusste, dass der Nachtwächter um diese Zeit bei Oberlinden seine Runde machte, um vom Bärenwirt noch einen letzten Trunk entgegenzunehmen. Damit war er weit genug vom Spital entfernt.
Unbehelligt erreichte sie die Seitenpforte, klopfte laut dagegen und betete, dass nicht der Knecht ihr öffnen würde, sondern Rudolf. Die Zeit dehnte sich qualvoll, und als sie kurz davor war, den Heimweg anzutreten, erschien Rudolf im Türrahmen, hinter ihm eine einzelne Gestalt. Es war Esther.
«Wo sind die andern?»
«Hab dir doch gesagt, es war zu wenig. Das hast du davon.»
Er schubste das Mädchen nach draußen und ließ hinter sich krachend die Tür ins Schloss fallen. Barfuß, in einem dünnen, fadenscheinigen Kittel, stand Esther vor ihr und rührte sich nicht. Sie zitterte nicht einmal, trotz der Kälte.
Clara war entsetzt über Rudolfs Wortbruch, doch es gab keine Zeit zu verlieren. Hier, mitten in der Stadt, konnten sie jeden Moment irgendwelchen Heimkehrern oder heimlichen Nachtschwärmern begegnen.
Also warf sie das bessere Paar ihrer Schuhe zu Boden. «Schlüpf da rein», befahl sie in strengem Ton, da Esther wie gelähmt vor ihr stand. Zugleich legte sie ihr die beiden Umhänge über die mageren Schultern, die wie Kegel aus dem dreckigen Kittel hervorragten, und zog ihr die Kapuze über den Kopf.
«Komm jetzt, schnell.»
Sie nahm die Laterne in die Linke, Esthers eiskalte Hand in die Rechte, und zog das Mädchen hinter sich her in Richtung Predigertor. Dabei umging sie das Quartier der Juden, um Esther den Anblick ihres Elternhauses zu ersparen, wo der Mob Fenster und Türen zerschlagen hatte. In der Schiffsgasse begegneten ihnen zu Claras Schrecken ein Trupp junger Männer, die aus einer Taverne kamen, und Clara musste all ihren Mut zusammennehmen, um freundlich und erhobenen Hauptes zu grüßen. Dann hatten sie das Stadttor erreicht, das den inneren Mauerring bewachte. Wie vereinbart, hatte der Torwärter die Seitenpforte offen gelassen und kehrte ihnen jetzt den Rücken zu. Die erste Hürde war genommen!
In ruhigerem Schritt durchquerten sie die spärlich besiedelte Vorstadt mit ihren Frauenklöstern zwischen Reb- und Gemüsegärten und den Badhäusern, die sich hier entlang des Stadtbachsreihten. Auch sie selbst war früher zweimal im Monat hier herausgekommen, zu Ederlins Frauenbad, doch seitdem in letzter Zeit immer häufiger Mannsbilder dort aufgetaucht waren, so gut wie nackt schon auf dem Weg dorthin, und sich in der Badstube mit unschicklichem Gebaren wie im Hurenhaus aufgeführt hatten, zog Clara das sittenstrengere Spitalbad vor.
Sie verzog das Gesicht, als sie daran dachte, und schalt sich zugleich eine herzlose Närrin, dass sie in solch einer Lage überhaupt an so etwas Lächerliches wie Badhausbesuche denken konnte. Fast hätte sie den Wiesenpfad verpasst, der zu einem Holzschuppen mit einem kleinen Feldstück dahinter führte, wo sie das Futter für ihr Viehzeug und ein wenig Korn anbauten. Im Schuppen lagerten Heu und Stroh, hier würde Esther sicher sein bis zum nächsten Morgen. Das Büggenreuter Torhaus, das von der Predigervorstadt hinaus in die Felder führte und in der Regel
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