Der Pestengel von Freiburg
Schuppen, nämlich eine aufgelassene Waldarbeiterhütte,die sie dazu gepachtet hatten, mit stabilen Wänden und einem richtigen Dach. Sie selbst hatten irgendwann noch einen Bretterboden eingezogen.
Clara staunte nicht schlecht. Benedikt und Heinrich hatten die Hütte im Frühjahr fürwahr in Ordnung gebracht! Die Tür hing nicht mehr schief in den Angeln, ein neuer Riegel war angebracht, und die Ritzen waren sorgfältig mit Moos und Wurzelwerk ausgestopft. Auch das Dach schien neu gedeckt. Den Sommer über würde man es wohl darin aushalten können.
Während ihre Geschwister auf der Lichtung herumtobten, schoben Johanna und Benedikt den Wagen unter das Vordach. Clara band den Hund an einem Baumstamm fest. Es war ein mächtiges Tier mit zottigem, dunkelbraunem Fell und kräftigem Gebiss. Der Bauer, von dem Heinrich ihn geholt hatte, hatte ihnen versichert, dass das Tier mit Kindern friedlich, ansonsten aber, was Haus und Hof betraf, ein scharfer Wachhund sei. Während Clara ihn betrachtete, hob er wie zur Bestätigung leise zu knurren an, und sie trat eilig einen Schritt zurück.
«Er wird sich schon noch an uns gewöhnen», sagte Johanna und kramte in dem Beutel mit der Wegzehrung. Mit einem Knochen in der Hand näherte sie sich dem Hund, strich ihm über den Kopf und hielt ihm den Leckerbissen hin.
«Hat er eigentlich einen Namen?»
Clara zuckte die Schultern. «Ich glaube nicht.»
«Er braucht aber einen, wenn er bei uns bleiben soll», entschied Johanna. «Was meinst du, Benedikt – wie sollen wir ihn nennen?»
«Ist mir gleich.»
Johanna zog die Stirn kraus. «Soll ich dir mal was sagen? Seit Ewigkeiten schleichst du herum wie ein verirrtes Nachtgespenst, wenn man dich überhaupt einmal zu Gesicht bekommt.Ich weiß nicht, was mit dir ist, aber eines weiß ich: Ich hab deine schwarzgallige Laune gründlich satt!»
Clara starrte ihre Tochter an. Einen solchen Tonfall kannte sie von Johanna gar nicht. Auch Benedikt schien verwirrt. Dann straffte er die Schultern und brachte so etwas wie ein Lächeln zustande.
«Nennen wir ihn Cerberus. So hat das alte Volk der Griechen den Höllenhund genannt, der den Eingang zur Unterwelt bewacht.»
Den Rest des Vormittags verbrachten sie damit, alles Nötige für ihren Aufenthalt vorzubereiten. Mit Hilfe der Kleinen schaffte Clara die Holzscheite aus der Hütte und richtete mit Mänteln und frischem Stroh die Bettstatt, die nun nahezu den gesamten Raum ausfüllte. Reichlich eng würden sie es haben, zu sechst nebeneinander, dafür aber umso wärmer.
Anschließend nahm sie den Ledereimer vom Wandhaken und ging zum Wasserholen an den nahen Bergbach oberhalb der Hütte. Quellen gab es hier im Wald ausreichend, das Wasser aus der Ottilienquelle allerdings durfte nicht zum Trinken und Waschen verwendet werden. Clara hockte sich dicht ans Ufer und tauchte ihre Arme in das erfrischende Nass. Aus der Ferne klang das Lachen der Kleinen herüber; auf der anderen Seite des Baches streiften ihre beiden Ältesten durch das Unterholz. Sie waren auf der Suche nach geeigneten Stellen für die Kaninchenfallen. Ein wahrhaft kleines Paradies war das hier oben im Sommer, viel schöner noch als ihr Garten – wären da nicht die schrecklichen Umstände, die sie hierhergezwungen hatten.
Keinen Steinwurf von Clara entfernt kniete Benedikt nun nieder und erklärte seiner Schwester, wie man die Fallen aufstellte.Seine Stimme klang ruhig, sehr männlich und auch ein wenig stolz. Es war sein Einfall gewesen, das mit den Kaninchenfallen. So würden sie sich hoffentlich ab und an über dem Feuer ein Stück Fleisch braten können, und für ihren Wachhund fiele auch etwas ab. Dazu bot der Wald eine Vielzahl von frischen Früchten, Kräutern und Nüssen, wenn man nur wusste, wo sie zu finden waren. Clara kannte eine versteckte Wiese zum Dreisamtal hin, auf der allerlei Wildgemüse wuchs. Verhungern würden sie gewiss nicht, zumal die Gegend im frühen Herbst von Pilzen und Blaubeeren übersät war.
Unwirsch schüttelte sie sich die Wassertropfen von den Armen und erhob sich. Nein, bis in den Herbst hinein würden sie hier ganz gewiss nicht bleiben.
Kurz nach dem Mittagsläuten, das vom Ebnoter Kirchturm heraufklang, war der Vater mit weiteren Vorräten in seiner Rückentrage angekommen. Während Johanna an der Feuerstelle neben der Hütte einen großen Topf Getreidebrei kochte, hatte er ihre Unterkunft inspiziert und dabei angestrengt versucht, eine fröhliche Stimmung zu verbreiten.
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