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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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sogar eigene Steuern erhoben werden, um die städtischen Leichenbestatter bezahlen zu können. So waren die Kemptener Stadtväter erst vor Kurzem dazu gezwungen gewesen, extra hierfür eine neue Vermögenssteuer auszuschreiben und wöchentlich auf brutale Art und Weise einzutreiben, um den ›Pestbader‹ und zwei Leichenbestatter bezahlen zu können.
    Obwohl sich die Schwarzgewandeten allein schon mit ihrer angestammten Arbeit dumm und dämlich verdienten, nutzten viele von ihnen die Gunst der Stunde und verschafften sich einträgliche Nebengeschäfte, indem sie die Toten bestahlen, nachdem sie diese zuvor mit obskuren Methoden ›behandelt‹ und sich auch dies hatten bezahlen lassen.
    Den gutgläubigen Menschen, die noch nicht von der Pest infiziert waren, verkauften sie wirkungslose Mittelchen zur Vorsorge und den bereits Infizierten verschrieben sie spezielle ›Pestkuren‹ in Verbindung mit ominösen Gegenmitteln, die sie selbst aus klein gehacktem Grünzeug, zermahlenen Knochen, Hühnerkot und allerlei anderen Ingredienzen, die sie nicht selten mit schalem Brunnenwasser, Tierblut oder Urin vermischt hatten, herstellten. Um noch schnell an das letzte Geld der Todgeweihten zu kommen, ließen sie sich alles einfallen, was Gott verboten hatte.
    Seriöse Ärzte mussten sich eines Heeres von profitsüchtigen Verbrechern erwehren, die ihre ›Dienste‹ teuer anboten. Während ein ordentlicher Arzt für die riskante Behandlung eines Pestkranken in dessen Behausung drei Kreuzer erhielt, verdiente ein Leichenbestatter für seine Arbeit – die Nebengeschäfte nicht eingerechnet – mittlerweile das 20‑Fache oder mehr. So war es nicht verwunderlich, dass sich die Totengräber gegen alle wehrten, die ihnen das Geschäft versauen wollten.
    Und dabei gingen sie nicht gerade behutsam vor, wie der Fall des in Staufen geborenen und schon seit Jahrzehnten in Kempten praktizierenden Stadtarztes Doktor Bilger zeigte. Erst vor zwei Wochen hatte er den Rat der Stadt um Schutz bitten müssen, weil der Pestbader Abraham Schmid damit gedroht hatte, dem studierten Herrn, der ihm in seine Arbeit hineinredete, bei der nächsten Gelegenheit die Ohren abzuschneiden. Andernorts wurde dem Stadtmedicus sogar der Kopf abgeschlagen, weil er sich erdreistet hatte, dem Leichenbestatter Vorschriften in Bezug auf die Hygiene zu machen. Einem Arzt aus dem Bodenseegebiet waren sämtliche Knochen gebrochen worden, um ihn für lange Zeit arbeitsunfähig zu machen. Dass er daran gestorben war, hatte nur seine Familie und vielleicht noch einige seiner Patienten interessiert, … falls es diese denn noch gegeben hatte.
    Aufgrund des ungewohnten Reichtums waren viele Leichenbestatter übermütig geworden, und so manch einer dieser profitablen Zunft hatte es übertrieben, weswegen er selbst einen Kopf kürzer gemacht, aufgeknüpft oder standrechtlich erschossen worden war.
    Unabhängig davon, dass aufgrund der Pest die Richter rar geworden waren, traute sich selbst die Staatsgewalt kaum an die Mitglieder dieser Berufssparte heran. So kam es höchst selten vor, dass einem Totengräber der Prozess gemacht wurde. Dadurch konnten diese sauberen Herren meist ungehindert ihr Unwesen treiben, ohne selbst zur Rechenschaft gezogen zu werden. Viele von ihnen machten sich sogar auch noch der Leichenschändung schuldig und vergewaltigten tote Frauen und Mädchen, selbst in den Leichenhäusern liegende alte Vetteln waren nicht vor ihren Übergriffen sicher. Andere schändeten die Toten, indem sie sich geschmacklose Scherze mit ihnen erlaubten. Der Kemptener Totengräber Lienhart Lutz soll sogar – ein fröhliches Lied auf den Lippen – die nackte Leiche eines an der Pest gestorbenen Mädchens auf ein Pferd gesetzt und am helllichten Tag durch die Stadt auf den Friedhof geführt haben. Der mittlerweile schwerreiche Leichenbestatter von Hindelang soll Musikanten dafür bezahlt haben, dass er die Pestopfer unter den Klängen von Tanzmusik auf den Gottesacker hatte führen können. Nicht nur die Schwester des Müllers soll er splitternackt ausgezogen und sie so brutal an den Haaren die Treppen hinunter aus dem Haus über die Straßen geschleift haben, dass ›… Haut unnd Flaisch am Pflaster klebengeblieben‹ waren. So zugerichtet, soll er das bedauernswerte Geschöpf Gottes nach Vorderhindelang gebracht haben.
     
    Da nahmen sich die verwerflichen Taten des Staufner Totengräbers Ruland Berging geradezu harmlos aus. Davon abgesehen, dass im vergangenen Herbst die

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