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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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war schrecklich.« Sarah drückte sich ganz fest an ihren Mann und begann zu weinen.
    »Was? Dieses Schwein!« Lodewig riss sich trotz seiner Wut auf den Lederer, wie versprochen, zusammen und blieb einigermaßen ruhig, ließ sich von Sarah aber alles haarklein berichten. Am Ende ihrer Ausführungen hatte Sarah allerdings doch noch große Mühe, ihren Geliebten davon abzuhalten, sofort ins Dorf hinunterzurennen und den ›Pater‹ zu suchen, um ihm an die Gurgel zu gehen.
    »Nehmen die Probleme denn überhaupt kein Ende? Wir lassen uns das bisschen Glück, das uns nach Diederichs Tod noch bleibt, nicht von einem händelsüchtigen Schuhmacher zerstören«, versprach Lodewig, während er die Hand, die er um Sarah gelegt hatte, zu einer Faust formte.
     
    *
     
    Aber nicht nur im Schloss war die Stimmung gereizt. Auch im Dorf unten brodelte es an allen Ecken und Enden. Obwohl die Menschen immer noch nicht kapiert hatten, wodurch die Pest übertragen wurde, trauten sich – nachdem es ihnen der Schuhmacher und dessen Nachbar vorgemacht hatten und nicht daran gestorben waren – die meisten von ihnen wieder auf die Gassen. Der allgemeine Hunger war unbeschreiblich. So stand – wie immer, jetzt aber ganz besonders – die Nahrungsbeschaffung im Vordergrund und ließ die Angst vor Ansteckung durch Mitmenschen in den Hintergrund treten. Dies gefiel dem ›Pater‹, der sich nun einen nach dem anderen vornehmen und davon überzeugen konnte, dass die Juden Schuld am Elend in Staufen trugen. Spätestens wenn er zu dem Punkt kam, dass die Bombergs den Stall voller Hühner hatten, waren die hungrigen Zuhörer auf seiner Seite. Auch wenn ihm nicht alle glaubten, so waren sich dennoch die meisten von ihnen unausgesprochen darüber einig geworden, dass es ihnen guttun würde, ihrer Wut über ihre unerträgliche Situation Luft zu verschaffen, indem sie Schuldige suchten … und bestraften. Und dass es die Juden treffen sollte, war jetzt auch denjenigen egal, die sich mit den Bombergs stets gut verstanden hatten. Hauptsache, es fielen ein paar Hühner und Eier ab, die ihnen und dem Rest ihrer Familien für eine kurze Zeit das Überleben sichern würden. Der ›Pater‹ spürte, dass das Fass überzulaufen drohte und die Menschen bald zu allem bereit sein würden. Er wusste instinktiv, dass es nur noch ein paar Tage dauern konnte, bis er sein Ziel erreicht hätte. In seiner Euphorie schreckte er nicht einmal davor zurück, sogar Fabio gegen die Juden aufhetzen zu wollen.
    »Warum stellt Ihr mir nach? Lasst mich endlich in Ruhe! Ich habe Euch nichts getan und möchte auch nichts mit Euch zu schaffen haben! Außerdem habe ich keine Zeit für irgendwelchen Unfug«, schrie Fabio, der sich zwar wunderte, dass ihm sein ehemaliger Verfolger plötzlich freundlich gesonnen schien, aber nicht verstand, was der unbeliebte Schuhmacher eigentlich von ihm wollte.
     
    *
     
    Da Fabio mit seiner Arbeit jetzt überhaupt nicht mehr fertig wurde und die Toten, die von ihren Angehörigen schon vor längerer Zeit zur Abholung vor die Türen gelegt oder daneben gelehnt worden waren, unvorstellbar zum Himmel stanken, musste dringend etwas geschehen. Der junge Leichenbestatter wusste sich keinen Rat mehr. Er wusste nur, dass es so nicht weitergehen konnte und er die verwesenden Leiber nicht mehr eine Woche oder sogar noch länger liegen lassen durfte, bevor er dazu kam, sie zu verscharren. Und Verbrennen kam ja nicht mehr infrage. Was also tun? Für einigermaßen ordentliche Bestattungen auf dem Pestfriedhof in Weißach hatte er schon längst keine Zeit mehr. Die dort abgelegten Leichen werden wohl oder übel so lange warten müssen, bis ich es schaffe, sie wenigstens in ein Massengrab zu werfen, dachte er.
    Da er aber nicht nur in Weißach haufenweise an der Pest Verstorbene gestapelt, sondern auch an anderen Plätzen des Dorfrandes gut erreichbare Leichendepots eingerichtet hatte, wimmelte es in allen Gassen vor Fliegen und Maden, die sich in den Körperöffnungen, aber auch an anderen unbekleideten Körperteilen der aufgedunsenen Leiber wohlzufühlen schienen und weiteres Ungeziefer oder große Tiere anlockten.
    Auch wenn Fabio sich immer wieder aufs Neue zusammenriss und sich redlich bemühte, nicht nur die frischen Leichen, sondern auch die länger liegengebliebenen abzutransportieren, gelang ihm dies kaum noch, ohne dass ihm speiübel wurde. Er schaffte es jetzt nicht mehr, die am Rücken wundgelegenen und oftmals offenen Körper aufzuheben und auf

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