Der Peststurm
Frau des Bäckers Föhr als Versuchsobjekt für die von ihm und dem zwischenzeitlich erhängten Medicus Heinrich Schwartz geplanten ›Pestmorde‹ ihren Kopf hatte hinhalten müssen, er drei unschuldige Knaben ermordet hatte und er mit Lodewig noch einen weiteren Mord auf sein Gewissen zu laden plante, würden ihm in Bezug auf seine Arbeit als Totengräber lediglich Leichenfledderei, Diebstahl und Hinterbliebenenbetrug vorgeworfen werden können. Dies würde allerdings voraussetzen, dass man ihn auf frischer Tat erwischte. Obwohl Ruland Berging die Gräueltaten seiner Kollegen aus Kempten, Hindelang und anderen Orten zwar immer wieder gerne vom Bunten Jakob hörte, wollte er mit deren Schweinereien nichts zu tun haben. Er liebte nur das klangvolle Geklimper von Münzen, weswegen er die Leichen lediglich fledderte und nicht auch noch schändete. Nur einmal hatte er einem alten Mann auf dessen Wunsch hin ein noch warmes junges Mädchen gebracht, das gerade erst gestorben war. Da der Totengräber gut dafür entlohnt worden war, hatte er nicht gefragt, was der Alte damit vorhabe. Zwei Tage später war das nackte Geschöpf Gottes vor dessen Tür geschmissen worden, wo es Fabio hatte abholen müssen. Da der Mann nach seiner schändlichen Tat von Gott gestraft worden war, hatte er bald darauf sein Haus selbst mit den Füßen voraus verlassen müssen.
Davon hat das Mädchen jetzt auch nichts mehr, hatte sich Fabio gedacht, als er augenscheinlich gewahrte, was der Lüstling dem Mädchen angetan hatte.
Ruland Berging war mittlerweile zu so viel Reichtum gekommen, dass er sich sogar einen ›Lieferdienst‹ leisten konnte. Einmal wöchentlich traf er sich im Schutze der Dunkelheit weit außerhalb des Dorfes mit dem Bunten Jakob und anderen Händlern, die ihm stets die feinsten Spezereien mitbrachten: Bratfertige Feldhasen, denen bereits das Fell über die Löffel gezogen worden war und deren Innereien längst im Suppentopf der fahrenden Händler gelandet waren. Dazu Lammkeulen und Enteneier, Karotten, die allerdings meist schon recht lapprig waren, wenn sie bei ihm ankamen, und vieles mehr. Der Totengräber konnte sich sogar teuren Wein aus Meersburg und einen guten Obstbrand aus Kressbronn leisten.
Allmorgendlich, wenn er aufstand, nahm er einen kräftigen Schluck dieses fruchtig schmeckenden Schnapses zur Desinfektion zu sich – dies hatte ihm ein hutzeliges, aber kerngesundes Bäuerlein geraten, das auf die Hundert hingearbeitet, dies wegen der Pest allerdings nicht mehr geschafft hatte. Jedenfalls hatte er seither seine eigene Methode, sich vor der Pest zu schützen. Ob dies letztendlich helfen würde, wusste er zwar nicht, schwor aber darauf … insbesondere, weil er es sich nun auch noch leisten konnte, seine Hände anstatt in Unschuld, in Schnaps zu waschen. Bei diesen Gelegenheiten schacherte er mit den fahrenden Händlern und verkaufte ihnen das, was er den Pesttoten oder den Hinterbliebenen abgenommen hatte. Er bot dem Bunten Jakob nicht nur die üblichen Rosenkränze und einige Gewandungen in relativ gutem Zustand an, sondern auch noch reichlich Keramik, mit der man ihn, anstatt mit Geld, entlohnt hatte. Im Gegenzug benötigte der Totengräber dringend etliche Trauringe. Im Angesicht des allgegenwärtigen Todes eigentlich eine Farce, hatte er aber festgestellt, dass sich viele junge Menschen noch schnell das Jawort geben wollten, bevor sie selbst an der Pest erkranken würden.
»Nächste Woche bringst du mir die Ringe mit! Ich zahle gut«, wollte der Totengräber den Handel beschließen, indem er dem Bunten Jakob seine Rechte entgegenstreckte.
»Meine Hand bekommst du aber nicht darauf«, rief der hinterkünftige Händler zurück, bevor er seinen klappernden Wagen ortsauswärts Richtung Salzstraße in Bewegung setzte.
Damit auch Fabio bei Kräften und dessen Arbeitskraft uneingeschränkt erhalten blieb, gab ihm der Totengräber großzügig von den frisch erworbenen Nahrungsmitteln ab.
Da sich Propst Glatt auch weiterhin ruhig verhalten sollte, bekam er vom Totengräber ausreichend Brot, Fleisch und sogar hin und wieder eine kleine Gallone Wein. Bei solch einer Gelegenheit berichtete der Totengräber von seiner neuen Erkenntnis in Bezug auf die frisch ausgebrochene Heiratswut.
»… und Ihr verheiratet diese Narren miteinander! Die Einnahmen teilen wir dann«, schlug er dem Propst vor, um ihn mit ins Boot zu bekommen.
Und tatsächlich war der ehedem mutige und gottgefällige Kleriker schon längst
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