Der Peststurm
nicht wirklich daran, dass die Rattenflöhe und deren Wirte die einzigen Überträger der undurchschaubaren Seuche waren. Dementsprechend verhielten sie sich auch.
Niemals würden sie eine Katze verspeisen, die mittlerweile für drei Gulden gehandelt wurde, oder ein Hundeviertel, das sogar sieben Gulden kostete – ein Wahnsinnsgeld!
Das Einzige, auf was sich die drei mittlerweile eingelassen hatten, war das Verspeisen von Vögeln, wenn es auch nicht gerade Krähen sein mussten. Allerdings mussten sie für einen Vogel – je nach Größe – einen halben bis zwei Gulden bezahlen, falls sie überhaupt einen kaufen konnten. Es den anderen Staufnern gleichzutun und die Tiere auf deren grauenvolle Art einzufangen, war nicht ihr Ding. Dazu hatten sie zu viel Respekt vor der Schöpfung und viel zu wenig Ahnung von der Jagd.
Da die Bevölkerung längst alle diesbezüglichen Skrupel überwunden hatte, stellte das Verspeisen von Tieren kein Problem mehr dar und man tauschte offen neu erprobte Rezepte darüber, wie das zähe Fleisch der Fledermäuse oder das der Vögel weich zu bekommen wäre, aus. Am wolkenverhangenen Himmel und auf den Ästen der Bäume war es still geworden.
Das Problem war jetzt nur noch, dass es im großen Umkreis Staufens mittlerweile kaum noch flatternde oder streunende Viecher gab, und wenn doch, mussten sie erst noch eingefangen oder erlegt werden. Fallen, wie sie in den Wäldern mittlerweile im Abstand von wenigen Schritten zu finden waren, hatten sich für das Fangen von Tieren innerhalb des Dorfes als ungeeignet erwiesen und waren zudem für Kinder – von denen es, als die scharfzackigen Eisenfallen noch im Dorf selbst aufgestellt worden waren, dem einen oder anderen einen Fuß gekostet hatte – viel zu gefährlich. Da es im Dorf aber keine einzige Schusswaffe gab, hatten sich die Menschen auch hier etwas einfallen lassen müssen. So schnitzten sich einige Pfeile und Bögen aus den geschmeidigen Haselnussästen, was allerdings aufgrund mangelnder Zielsicherheit oder krummer Pfeile recht wenig Jagderfolg versprach. Erwischte jemand tatsächlich eine Katze oder gar einen Hund, konnte er sich glücklich schätzen, musste das Tier aber auf schnellstem Weg in Sicherheit bringen, wenn er deswegen nicht selbst Opfer eines sich ›versehentlich‹ verirrenden Pfeiles werden wollte. Da er das Fleisch für sich selbst und für seine Familie benötigte, verkaufte er es, trotz interessanter Angebote, nicht. Dies hatte zwangsläufig zur Folge, dass das wenige vorhandene Geld plötzlich nichts mehr wert war. Von dieser Entwicklung profitierten nur diejenigen, die sich bereits eines gewissen Reichtums erfreuen konnten. Während es in der Stiftsstadt Kempten nur noch wenige Bürger gab, die in der Lage waren, Steuern zu zahlen, gab es in Staufen keinen einzigen, der auch nur annähernd dazu imstande war.
Unabhängig davon, dass Oberamtmann Speen wusste, dass es in Staufen derzeit nichts zu holen gab, könnte er es auch nicht verantworten, den gräflichen Steuereintreiber dorthin zu schicken. Entweder würde dieser von den Staufnern aus dem Dorf geprügelt oder er würde am Spieß enden. Wäre Ersteres der Fall, würde der Steuereintreiber außer der Pest und der Gewandung, die er am Leibe trug, wohl nichts mit nach Immenstadt zurückbringen. Seine Stiefel würde er in jedem Falle hierlassen müssen. Da die Immenstädter außerdem mit sich selbst beschäftigt waren und zudem genug damit zu tun hatten, Staufen konsequent abzuriegeln, damit die Pest noch vor Thalkirchdorf abgefangen wurde, um ja nicht bis zur Residenzstadt vorzudringen, wurde momentan auf das Einziehen der Steuern gänzlich verzichtet. Dies hieß aber nicht, dass man auch von deren Erhebung Abstand nahm und die Sache nach dem Abklingen der Pest in Vergessenheit geraten würde. Der Graf würde zu gegebener Zeit schon irgendwie dafür sorgen, dass er wieder zu seinem Recht käme.
Außer den ›Totengrübeln‹, wie die Leichenbestatter oft auch genannt wurden, verfügte kaum noch jemand über eine zufriedenstellende Geldreserve. Während das übrige Volk zunehmend verarmte, waren sie die großen Gewinner am Krieg und an der Pest. ›Der Krieg ernährt den Krieg … und der Pestische ernährt den Totengrübel‹, hieß es bereits.
Da die Leichenbestatter in den Dörfern mangels Präsenz der Obrigkeit die Höhe ihrer Entlohnung mehr oder weniger selbst festlegten und auch selbst eintreiben konnten, mussten in den Städten oftmals
Weitere Kostenlose Bücher