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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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seinen zweirädrigen Totenkarren zu werfen, ohne dadurch lästige Aasfresser anzulocken, die sich von ihm kaum noch vertreiben ließen. Auch wenn ihn der Anblick der Tiere, die sich – kaum hatte er die meist schlaffen, manchmal steifen Körper aufgehoben – an den am Boden klebenden Fleischresten und an den dazwischen kriechenden Maden gütlich taten, grauste, musste er es tun. Es half alles nichts; er hatte diese Arbeit nun einmal angenommen und würde sie jetzt zum Wohlgefallen des Kastellans auch ordentlich zu Ende bringen. Außerdem wusste er, dass Propst Glatt stets ein Auge darauf hatte. Und den Zorn des Totengräbers fürchtete er sowieso.
     
    *
     
    Um die Verstorbenen davor zu bewahren, von Tieren angenagt oder ganz aufgefressen zu werden, begannen viele Menschen damit, ihre Angehörigen in der Erde unter den Holzböden ihrer Behausungen zu verscharren, anstatt sie draußen abzulegen.
    Aber nicht nur die Tiere litten Hunger und wurden dadurch zu Allesfressern. Auch die Menschen waren längst zum Äußersten bereit, wenn es darum ging, an Essbares zu gelangen. Sie schreckten jetzt auch nicht mehr davor zurück, alles zu verspeisen, was sich bewegte. Um an Fleisch zu kommen, nutzten sie jede sich bietende Gelegenheit und ließen sich hierzu einiges einfallen. Obwohl der Gestank unerträglich war, lauerten die Männer unmittelbar bei den Leichenhaufen auf Tiere, die sich intensiv mit den Toten beschäftigten und dadurch unachtsam waren. Die Männer bastelten die skurrilsten Waffen und Gerätschaften, um die Aasfresser erlegen oder einfangen zu können. Der Hunger war so groß, dass jetzt niemand mehr Skrupel hatte, auch Tiere zu verspeisen, die zuvor nicht auf dem dürftigen Speiseplan gestanden hatten. Hunde und Katzen waren schon längst nicht mehr vor dem Bratrost sicher, wenn es denn auch das dazu benötigte Brennholz gab. Wenn nicht, wurde den Tieren einfach das Fell über die Ohren gezogen oder deren Federn gerupft, bevor sie zerlegt und in rohem Zustand hastig vertilgt wurden. Dann waren auch noch Mäuse, Ratten und Krähen drangekommen. Die Gewässer rund um das Dorf herum waren längst leergefischt, und da sich niemand mehr die Furcht vor Bestrafung leisten konnte, nahmen sich die Staufner nun auch den Weißachbach vor. Beim Absuchen des munter vor sich hin plätschernden Gewässers nach Regenbogenforellen und Flusskrebsen streifte so mancher am Bachlauf auf der Höhe des Pestfriedhofes vorbei und bekam dabei den ätzenden Geruch der dort abgelegten Leichen in die Nase, was aber nur kurzfristig jegliche Lust auf Essbares verdrängte. Sowie in die Lungen wieder die feuchte und lebensspendende Kühle des Wassers und der frische Duft der Bäume strömte, kam der Hunger unaufhaltsam zurück. Aber dieses ehedem fischreiche Gewässer bot mittlerweile ebenso wenig Nahrung wie die längst verwaisten Wälder, in denen es inzwischen weder Rot- noch Schwarzwild gab. Bachauf, bachab wurde bald außerhalb des Ortsgebietes alles herausgefischt, was sich unter der Wasseroberfläche bewegte. Dadurch waren auch auf Höhe des Dorfgebietes die Fische mehr als rar geworden, was sie unbezahlbar machte. Aber nicht nur für Fische musste das Zehn- bis Zwanzigfache ihres früheren Preises bezahlt werden, wenn sie von den Schwarzfischern verkauft wurden, was wegen des Eigenbedarfs nur noch höchst selten vorkam. Auch Tiere, die man früher vertrieben hatte, wenn sie dem eigenen Wurz- und Kräutergarten zu nahe gekommen waren, konnten von heute auf morgen wertvoll geworden sein: Für eine Maus musste jetzt ein Gulden, für eine Ratte sogar fast das Doppelte bezahlt werden. Dass gerade die größeren Nager um und um voller Flöhe waren, fiel den Menschen zwar auf, dass jedoch die Tiere dadurch mit der Pest infiziert waren, glaubten sie in ihrer Gier nach Essbarem aber nicht, obwohl sie es eigentlich hätten wissen müssen, seit der Kastellan gleich nach dem Tod der Bechtelers und der Doblers einen Rundgang durch das Dorf gemacht hatte, um die Leute über die wahre Ursache der Krankheitsverbreitung aufzuklären.
    »Die Flöhe verbrennen beim Braten oder verschwinden von selbst, wenn wir den Tieren die Haut abziehen«, rissen sie sogar auch noch Späße über die Flöhe.
     
    *
     
    Seit der Sache mit dem Medicus im vergangenen Jahr glaubten die Menschen nichts und niemandem mehr und verließen sich lieber auf ihre eigenen abenteuerlichen Interpretationen. Selbst Propst Glatt, Schwester Bonifatia und der Kanoniker glaubten

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