Der Peststurm
gerne noch ein Weilchen mit dem Wirt unterhalten und ihm von seinen Erlebnissen in Sigmaringen erzählt. Da er sich dies aber im Beisein seines Weggefährten verkneifen wollte, um die geplante Überraschung nicht zu verderben, verdrängte er sogar seinen Durst und versprach den Wirtsleuten, sich alsbald wieder sehen zu lassen.
»Auch wir werden uns sicher wiedersehen«, versprach Ulrich kurze Zeit später von seinem Pferd herunter. Dabei schmunzelte er, weil sein neuer Freund neben ihm herlaufen musste.
»Nun denn, gehabt Euch wohl«, rief ihnen der Wirt winkend nach, als sie sich in Richtung des in der Au gelegenen Klosters Mehrerau aufmachten.
Kapitel 28
Das bis zur Kirche hochdringende Geschrei lockte immer mehr Menschen in den unteren Teil Staufens. Um zu sehen, was da los war, krochen viele Leute seit langer Zeit zum ersten Mal wieder aus ihren Löchern. Während die Ahnungslosen unter den Staufnern aus purer Neugierde über den Marktplatz in Richtung Seelesgraben hinunterhasteten, eilten diejenigen, die bereits wussten, um was es ging, zielstrebig dorthin, um sich ihren Teil an der erhofften Plünderung zu sichern. Wenn es um Nahrungsbeschaffung ging, waren die ausgemergelten Staufner längst zu allem bereit. Sie hatten nicht die geringsten Skrupel, ihren Mitmenschen deren letzte Nahrungsmittelreserven abzunehmen – egal wie. Wenn dies nicht auf freiwilliger Basis ging, dann eben mit Gewalt.
Schon in den letzten Wochen war es zu mehreren Übergriffen gekommen, bei denen sich die Dorfbewohner gegenseitig bestohlen, beraubt und geprügelt hatten. Obwohl die Männer und Frauen allesamt auf dem besten Weg waren, bis auf die Knochen abzumagern, und die letzten Kraftreserven bald verbraucht sein würden, gehörten Handgreiflichkeiten in aller Öffentlichkeit mittlerweile fast schon zur Tagesordnung.
Es grenzte an ein Wunder, dass dabei noch niemand direkt zu Tode gekommen war. Durch die ständigen Raufereien sorgten die Staufner allerdings indirekt dafür, dass dem Sensenmann neue Opfer zugeführt wurden, die er ansonsten vielleicht nicht, zumindest aber nicht so schnell, bekommen hätte: Denn wenn sich zwei Kampfhähne streitend auf dem Boden wälzten, konnte es vorkommen, dass ein neugieriger Rattenfloh den Wirt wechselte und dadurch ein bisher noch Gesunder von der Pest befallen wurde.
Mit der wachsenden Menschenschar in Staufens Unterflecken war auch die Stimmung aggressiver geworden. Diejenigen, die noch nicht wussten, um was es hier überhaupt ging, ließen sich nur allzu schnell aufhetzen. Da die Sache auch für sie verlockend schien, überlegten sie nicht lange und stimmten in das allgemeine Palaver und Gemaule gegen die Juden ein. Während das Geschrei zunehmend lauter wurde, warfen sie immer größere Gegenstände. Waren es anfangs noch kleine Steine gewesen, krachten jetzt schon größere Steinbrocken gegen das Haus der Familie Bomberg.
Mehr und mehr glich die Szenerie einer mittelalterlichen Burgbelagerung. Nachdem der ›Pater‹ seine Mission als Aufhetzer erfolgreich erledigt hatte, konnte er es sich jetzt gemütlich machen. Fast unbemerkt tat er es den anderen gleich, ohne sich allzu auffällig in den Vordergrund schieben zu müssen. So warf er selbst weder die größten Brocken noch schrie er am lautesten. Er stand nicht einmal in der ersten Reihe, dirigierte aber die Sache sanft von hinten, wenn es ihm notwendig erschien: »Man darf nicht daran denken, dass die den Stall voller Hühner haben … «, tuschelte er gleichsam vielsagend, aber alles offen lassend, seinem Nachbarn ins Ohr und wechselte gleich darauf seinen Standplatz.
»Diese Mistjuden haben den Stall voller Hennen«, schrie daraufhin der Nachbar so laut, dass es alle hören konnten.
Der ›Pater‹ grinste. Für ihn war die Sache so gut wie gelaufen und es würde nicht mehr lange dauern, bis die Bombergs aufgeben mussten und er in dieses schmucke Anwesen einziehen konnte. Wenn das Haus gestürmt war, musste er es nur noch so hinbekommen, dass die Juden mit Schimpf und Schande in westlicher Richtung aus dem Dorf getrieben würden.
Sollten die Bombergs nach Osten, also in Richtung Immenstadt, flüchten, würde es sich nicht vermeiden lassen, dass sie direkt in die Arme der rothenfelsischen Soldaten, die bei der Palisadensperre vor Thalkirchdorf ihren Dienst verrichteten, liefen und sich bei Oberamtmann Speen erklären müssten. Der oberste Beamte des Grafen würde der Sache sicherlich akribisch nachgehen und gleich
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