Der Peststurm
so genau, und Eberhard hat es aus einem Ort namens Rendsburg, das wohl hoch im Norden liegen muss, nach Buchhorn verschlagen, bevor er hierhergekommen ist. Jedenfalls sind es liebe Stammgäste, die manchmal sogar bezahlen«, scherzte der Wirt.
Als die gegenseitigen Vorstellungen, Erklärungen und Entschuldigungen ausgetauscht und endlich vorüber waren, saßen alle gemeinsam bei einer guten Pinte Wein zusammen und feierten den Sieg des Guten über das Böse.
»Auch wenn wir den Dieb nicht erwischt haben, so konntet ihr doch unsere bescheidene Habe retten. Für das, was ihr heute zu trinken und zu essen gedenkt, mache ich die Kerben! «
»Das kann aber teuer werden«, flüsterte Anna, die Nepomuks, alias Jodoks Durst nur allzu gut kannte, ihrem Mann warnend ins Ohr.
»Dafür konnte aber die Hexe erwischt und verbrannt werden«, ergänzte Eberhard, der für seine ständigen kleinen Maulereien bekannt war, das vom Wirt zuvor Gesagte.
»Die war ja nicht einmal fuchsig . Vielleicht war sie überhaupt keine Hexe?«, flocht Dietmar dazwischen.
Damit die anderen über kurz oder lang nicht versehentlich auf ihn zu sprechen kamen, griff Jodok dieses Thema selbst auf. Aufgrund seines muskelbepackten, fast übernatürlich großen Körpers mochte der gutmütige Riese auf den ersten Blick zwar zum Fürchten aussehen. Wer ihn aber etwas näher kennenlernen durfte, stellte schnell fest, dass in diesem gesunden Körper ein überaus wacher und feinsinniger Geist steckte, der so gar nicht in diesen groben Klotz zu passen schien. Der Kastellan hatte dies allerdings schon längst bemerkt und versuchte deshalb ständig, mehr über seinen Wegbegleiter in Erfahrung zu bringen.
Irgendetwas stimmt mit dem nicht, dachte er und rieb sich das Kinn.
Da dessen Neugierde von Jodok sofort durchschaut worden war, ließ er Ulrich zappeln, gab nicht alles von sich preis und lenkte stets geschickt ab, wenn er mit zu intimen Fragen konfrontiert wurde.
»Aus einer trockenen Kehle kann nichts herausfließen«, stellte Jodok fest, nachdem ihn Ulrich gebeten hatte, wenigstens noch etwas von seinem offensichtlich imponierenden Wissen über Hexen preiszugeben, wenn er schon nicht über sich selbst sprechen wollte.
Der Hüne zog die Stirn in Falten und leerte seinen Becher in einem Zug. Er tat so, als ob er angestrengt nachdenken müsste, und wartete so lange, bis er merkte, dass nicht nur Ulrich ungeduldig zu werden drohte.
»Na gut! Dann erzähle ich euch etwas über den Hintergrund der unseligen Hexenverfolgungen in heutiger Zeit. Erwartet aber nicht von mir, dass ich irgendwelche Grausamkeiten auf den Tisch lege, an denen ihr euch belustigen könnt … Also: Wie ihr sicher wisst, war schon das vergangene Jahrhundert durch einen immensen Wandel des Weltbildes und vom Übergang einer gottgewollten Weltordnung zu einer von der Natur bestimmten Ordnung geprägt. Hinzu kamen die Spaltung der Religionen und der totale Untergang altbewährter Werte. Und dafür, dass dies auch heute noch so ist, haben wir anhand des Diebes einmal mehr ein gutes Beispiel bekommen.«
Während er dies sagte, konnte sich Ulrich ein stilles Grinsen nicht verkneifen, ließ Jodok aber ungestört weitererzählen: »Weil uns zunehmend Hungersnöte plagen und es Seuchen zuhauf gibt, kommt es zu keiner Aufbruchstimmung … Im Gegenteil!«
Jetzt machte Jodok selbst eine Art schöpferischer Pause und versicherte sich des Interesses aller am Tisch Sitzenden, bevor er mit wichtiger Miene fortfuhr: »Aus Existenzangst heraus triumphiert mehr und mehr das Böse … und das Schlechte wird zunehmend auf den Schild gehoben. Um von eigenen Unzulänglichkeiten, von Hunger, Seuchen und Krankheiten oder gar vom drohenden Weltuntergang abzulenken, werden Anhänger uns fremden Glaubens, Andersdenkende und Menschen anderer Hautfarbe, Herkunft oder Rasse gnadenlos verfolgt und sinnlos massakriert. Scheinbar gottlose Frauen, die sich entweder kleiner Verfehlungen schuldig gemacht oder meistens sogar überhaupt nichts Verbotenes getan, als unversehens bei einem Mann die Lust geweckt zu haben, werden immer noch reihenweise auf die Scheiterhaufen geschleppt und verbrannt, … nachdem man seinen Spaß mit ihnen gehabt hat.« Jodok nahm einen großen Schluck aus seinem Becher. »Eine Scheißzeit!«
Die Blicke der Anwesenden hingen an den Lippen des zweifelsfrei über die Maßen hinaus gebildeten Mannes und konnten es kaum erwarten, bis er weitersprach, was er denn auch tat: »Die Hexenverfolgungen
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