Der Peststurm
sind heute noch – auch hier in Bregenz – ein probates Mittel, dem Verfolgungswahn der Obrigkeit gerecht zu werden und den aufrührerischen Geist des einfachen Volkes auszubremsen. Blut vermochte zu allen Zeiten, Begehrlichkeiten zu stillen … , aber nur, um sie wieder aufs Neue zu entfachen.«
Jodok strich sich über den Bart und überlegte. »Aber eigentlich wollte ich euch nicht nur Allgemeines über die Hexenjagden erzählen, sondern ein paar Beispiele aus unserer Gegend bringen.«
Er blickte in die kleine Runde – gerade so, als ob er fragen wollte, ob dies auch gewünscht wäre, lehnte sich weit über den Tisch und deutete mit seinem Zeigefinger, dass es ihm die anderen nachmachen sollten.
Eine gespenstisch anmutende Situation entwickelte sich. Es war still. Die Männer hatten verschwörerisch ihre Köpfe zusammengesteckt, und der Raum wurde nur durch zwei Kerzen mehr als dürftig ausgeleuchtet, wovon eine auf dem Ausschanktresen und die andere in der Mitte des Tisches stand. Da es spannend zu werden schien, schob sich jetzt auch noch die feiste Wirtin zwischen die Männer und legte ihre hochgeschnürten Brüste auf ihre verschränkten Arme, die es ebenso wenig wie das Mieder vermochten, die gewaltige Fleischmasse zu halten. Der geifernde Blick des ihr gegenübersitzenden Dietmar löste sich erst davon, als Jodok mit seiner tiefen Stimme leise zu sprechen begann: »Wisst ihr, dass nicht nur junge Mädchen der Inquisition zum Opfer fallen, sondern dass es auch vorkommt, Männer der Hexerei anzuklagen?«, fragte er, ohne eine Antwort abzuwarten. »Hier am Bodensee hat man 1628 einem Alchimisten, der sich Hans Jörg Jäger genannt hat, den Prozess gemacht, obwohl er in hochoffiziellem Auftrag des Grafen Georg Fugger gehandelt hat.«
»Was hat er denn verbrochen?«, fragte Dietmar, der mit Jodoks Erzählgeschwindigkeit nicht mitkam.
»Er hat versucht, Gold zu machen!«
Als sie dies hörten, mussten die Männer und die Wirtin, deren Brüste beim Zurücklehnen schlagartig absackten, schallend lachen.
»Dem armen Tropf war nicht zum Lachen zumute. Jäger wurde gefangen genommen und in die Fugger’sche Fronfeste nach Wasserburg gebracht. Er muss wohl schon um die 70 Jahre alt gewesen sein und … «
»Dann war die Wehmutter auch nicht mehr schuld«, wurde Jodok in Anspielung auf das hohe Alter des Mannes vom Wirt unterbrochen, was wieder Gelächter auslöste und die Brüste seiner Frau zu Dietmars Freude hüpfen ließ, als wären sie Spielbälle, die sich in einem Netz verfangen hatten. Bevor sich Dietmar so richtig sattsehen konnte, fuhr Jodok fort: »Jedenfalls musste der Angeklagte zig Verhöre über sich ergehen lassen. Unter der Folter hat er schließlich zugegeben, Teufelswerk betrieben zu haben. Später hat er sein Geständnis widerrufen, was ihm neuerlich die peinliche Befragung eingebracht hat. So hat sich die Sache lange hingezogen. Ich glaube, dass es vier Tage vor Weihnachten war, als in Wasserburg der Malefizgerichtstag stattgefunden hat, an dem der arme Malificant zum Tode verurteilt worden ist. Zuvor aber haben sie ihm die rechte Hand abgeschlagen.«
»Und das nur, weil er Gold herstellen wollte?«, fragte der aufgeklärte Verwalter des Schlosses Staufen kopfschüttelnd.
»Nein! Ihm wurden neben der Zauberei und der Hexenmeisterei auch etliche Diebstähle zur Last gelegt. Außerdem wurden ihm Misshandlungen, Betrug, Sodomie und sogar Mord- und Totschlag durch sein teuflisches Gift sowie durch Salben und Pulver vorgeworfen.«
»Also hat er es doch faustdick hinter den Ohren gehabt«, stellte Dietmar, dessen Blicke immer noch auf der Wirtin ruhten, fest.
Erst als er von Eberhard unter dem Tisch getreten wurde, entspannte er sich und schaute wieder zu Jodok, der dieses Thema jetzt beenden wollte, da bei einigen offensichtlich die Konzentration nachzulassen schien: »Mag sein. Ich weiß nur, dass dieser Fall noch jahrelang für Gesprächsstoff gesorgt hat. Außerdem … «
Durch Jodoks Erzählung, die er immer wieder mit spannenden Anekdoten ausgeschmückt hatte, war die Zeit wie im Fluge vergangen. Als die Wirtin schon wieder eine Runde bringen wollte, winkte der Gast aus dem fernen Allgäu dankend ab: »Es reicht! Der Seewein ist zwar sehr gut, hat es aber in sich. Wir sehen uns bestimmt wieder. Jetzt aber wird es höchste Zeit, dass ich in die Au komme, bevor die Klosterpforte abgeschlossen wird.«
Jodok, dessen Sitzfleisch so langsam auf der Bank kleben bleiben würde, hätte sich
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