Der Peststurm
noch ein Fuß heraus«, bemerkte derjenige, der den üblen Gestank als Erster intensiv gerochen hatte, gleichsam erstaunt und verunsichert.
»Aufgrund des holprigen Weges muss es die bedauernswerten Opfer der Pestilenz wohl etwas durcheinandergeschüttelt haben. Ich werde ihre Gliedmaßen wieder unter die Decke schieben, damit die Ansteckungsgefahr nicht unnötig vergrößert wird«, sagte Bruder Nepomuk mit ruhiger Stimme und schickte sich an, nach hinten zum Fuhrwerk zu gehen.
»Bleib, wo du bist«, schnarrte es ihm entgegen.
Seinen Kumpanen befahl der Anführer, die Decke anzuheben und nachzusehen, was sich alles darunter verbarg. Aber die Angst vor der Pest und der Ekel vor dem Gestank des Todes waren so groß, dass es keiner wagte, die Plane vom Fuhrwerk zu ziehen. Erst als ihr Anführer massive Drohungen und Flüche ausstieß, trauten sich wieder zwei der Männer näher an den Wagen und hoben vorsichtig die Decke an. Sie erblickten zwei Tote, die aussahen, als wenn sie Schreckliches mitgemacht hätten, bevor sie gestorben waren. Einer hatte die Augen weit aufgerissen und dem anderen hing seitlich die Zunge aus dem schaumverkrusteten Mund. Was man von ihren Körpern sah, war mit offenen Wunden, an denen ganz offensichtlich getrocknetes Blut klebte, übersät. Außerdem stanken sie, als wären sie schon länger als eine Woche tot.
In ihrer Angst glaubten die Straßenräuber, Pestbeulen zu erkennen, und gaben diese Beobachtung an ihren Anführer weiter.
»Nur zwei Tote und keine Waren? Das kann nicht sein. Dafür ist die Ladefläche zu prall gefüllt«, stellte der Anführer, der etwas mehr in der Birne zu haben schien als die anderen, fest.
»Nein«, fuhr Nepomuk dazwischen. »Die beiden sind die Letzten, die ich eingesammelt habe. Die ganze Ladefläche ist voller Pestopfer. Diese beiden hier liegen auf einer Plache, unter der die älteren, bereits faulenden und furchtbar stinkenden Leichen liegen. Was meint Ihr, warum ich dieses Räuchergefäß mit mir führe?« Da die Sache zu eskalieren drohte, umfasste er unauffällig das Heft seiner unter der Kutte versteckten Doppelaxt. »Ich bin nur ein Bettelmönch und besitze nichts. Die beiden Rösser hat ebenfalls die grausige Seuche gepackt … Ihr könnt sie gerne haben, dann bleibt es mir erspart, sie zum Abdecker zu bringen. Wenn Ihr mich zu ihnen lasst, werde ich sie abbinden und danach die Decke vom Wagen ziehen, damit Ihr das ganze Elend sehen könnt. Zuvor aber tretet in die Richtung, aus der dieser lästige Wind kommt und verhüllt Eure Gesichter mit dicken Tüchern, damit Ihr nicht angesteckt werdet.«
Nepomuk gefiel dieses Schauspiel und er konnte es nicht lassen, die Sache auszuschmücken und auf die Spitze zu treiben. Obwohl er wusste, dass immer noch höchste Gefahr bestand, kniete er sich hin und begann zu beten: »Tiefe Wunden schlägst du, oh Herr, in alle, die mit der Pestilenz in Berührung kommen. Mich hast du bereits auserkoren, Dir zu folgen. Verschone wenigstens diese Deine verlorenen Schafe, auf dass sie zu Dir zurückkehren mögen. Amen!«
Die Wegelagerer hatten sich derweil um ihren Anführer versammelt, um zu besprechen, was sie tun sollten. In der Zwischenzeit hatte Nepomuk das Räuchergefäß vom Kutschbock geholt und etwas von dem selbst gemischten Räucherwerk dazugegeben. Während er das Gefäß so fest im Wind schwenkte, dass es ja recht stinken sollte, sprach er mit zitternder Stimme weiter: »Wenn ich hingegangen bin und einen Platz für euch bereitet habe, komme ich wieder und hole euch zu mir, damit auch ihr seid, wo ich bin, sprach der Herr! – Und nun lasset uns beten … « Danach zeichnete er Kreuze in Richtung jedes einzelnen und senkte scheinbar demütig sein Haupt, beobachtete die Halunken aber trotzdem. Nur gut, dass die Kapuze mein Gesicht verbirgt, so können sie weder mein diabolisches Grinsen sehen, noch erkennen, dass meine ›Pestbeulen‹ aus Hühnermist gemacht sind, dachte er zufrieden.
Jetzt reichte es den verstörten Straßenräubern endgültig. Um Nepomuks Redefluss zu stoppen, schoss einer in die Luft.
»So weit kommt es noch, dass wir mit diesem Pfaffen beten«, empörte sich der Anführer. »Da wir vorher schon viel Salz und andere wertvolle Dinge erbeutet haben, geben wir uns für heute zufrieden. Wir werden nicht riskieren, von der Pest gepackt oder – noch schlimmer – von diesem Mönch bekehrt zu werden«, maulte er.
»Darf ich jetzt die Pferde losbinden und die Decke
Weitere Kostenlose Bücher