Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
Vom Netzwerk:
Oberflecken gegen Unterflecken – bekriegten.
     
    Als der Totengräber erfuhr, dass die Frau des Brunnenputzers verstorben war, witterte er endlich wieder einen guten Profit und eilte mit Fabio sofort zu deren schlichter Behausung. Auf dem Weg dorthin sahen sie vor mehreren Häusern verwesende Körper liegen, die dort schon wochenlang oder noch länger liegen mochten und einen dementsprechend unerträglichen Gestank verbreiteten.
    »Warum nehmen wir diese Toten nicht mit, Herr?«, fragte Fabio.
    »Weil sie keine Hinterbliebenen haben, die dafür bezahlen können«, knurrte der Totengräber knapp, fügte aber noch an, dass diejenigen, die diese Leichen vor die Türen gelegt hatten, wahrscheinlich auch schon von der Pest gepackt worden waren und vermutlich tot in ihren Häusern lagen.
    »Aber Herr, seht doch: Überall Ratten, die sich an den Toten schadlos halten!«
    »Ja, fürwahr ekelig. Aber wir können nichts dagegen tun, außer uns Tücher vors Gesicht und um die Hände zu binden.«
    Als sie beim Haus des Brunnenputzers ankamen, stellten sie verwundert fest, dass keine Leiche vor der Tür lag. Da Ruland Berging nicht auf den erhofften Lohn verzichten wollte, rief er aus sicherer Entfernung zum Haus: »Brunnenputzer! Leg dein totes Weib vors Loch und wir geben ihr ein ordentliches Begräbnis.«
    Als Fabio dies hörte, konnte er sich ein Grinsen nicht verkneifen, weshalb ihm sein Herr einen Knuff mit dem Ellbogen versetzte. Obwohl keine Antwort kam, gab der Totengräber nicht auf und rief immer wieder nach dem Mann, der irgendwann die Tür einen Spaltbreit öffnete und vorsichtig seinen Kopf herausstreckte. »Was wollt ihr? Ich benötige eure Hilfe nicht. Verschwindet!«
    »Aber was ist mit deinem Weib? Sollen wir uns nicht darum kümmern?«
    »Das mache ich selbst! Was die Ratten können, kann ich auch«, kam es schroff zur Antwort, bevor die Tür zukrachte.
    »Wie meint er das?«, fragte Fabio interessiert, bekam von seinem Herrn aber nur ein nachdenkliches »Ich weiß nicht« zur Antwort.
    Obgleich dem Totengräber jetzt schon Böses schwante, sollte er erst später erfahren, dass der Brunnenputzer sein Leben zu retten versuchte, indem er seine eigene Frau verspeiste. Am Höhepunkt der Pest und der Hungersnot war es nicht ungewöhnlich, dass die eigenen Verwandten ihren Verstorbenen Fleischstücke aus den Körpern schnitten und roh aßen, weil sie kein Feuerholz hatten.
    Vor Kurzem war in den pestfreien Gegenden des Allgäus auch offenkundig geworden, dass in vielen Orten Mütter ihre eigenen Kinder verzehrt hatten und dass in Augsburg Leichen von noch nicht einmal einen Monat alten Kindern als Leckerbissen gegolten hatten, auch dann, wenn diese an der Pest gestorben waren ... selbstverständlich nur, wenn Brennholz zum Schüren der Öfen zur Verfügung gestanden war. In der Fuggerstadt waren in einem einzigen Haus fünf Pesttote von Frauen verspeist worden. Dort hatte eine sogar ihren eigenen Lebenspartner gegessen. Der dortige Pfarrer hatte gerade noch verhindern können, dass drei weitere Tote, die bereits in dieses Haus geschafft worden waren, den gleichen Weg nehmen würden. Dies alles konnte der Totengräber nicht wissen. Er ahnte aber, dass nicht nur die Pest, sondern auch die Konjunktur den Höhepunkt überschritten hatte, zumindest, was seine Arbeit betraf.
    Es ist an der Zeit, mich abzusetzen. Das Dorf ist fast ausgestorben und die Gewinne, die ich hier noch erwarten kann, dürften sich in Grenzen halten. Eigentlich habe ich genügend Geld beiseite geschafft, um es mir gut gehen zu lassen, dachte er und überlegte, wie es mit Fabio weitergehen sollte. »Wenn du hier schon keine Arbeit hast, könntest du die Leichen, die du vor längerer Zeit neben dem Pestfriedhof in Weißach aufgeschichtet hast, vergraben«, schlug er seinem Helfer vor.
    »Ja, Herr! Und wenn ich damit fertig bin? Was soll ich dann tun?«
    »Sowie neue Leichen entsorgt werden müssen, tust du dies in gewohnter Manier … , aber nur, wenn dafür bezahlt wird! Wir treffen uns täglich um die siebente Stunde auf dem Kirchhof, um die Lage zu besprechen … und um abzurechnen. Ich muss mich jetzt um wichtige Dinge kümmern, die keinen weiteren Aufschub dulden.«
    »Aha. Ich habe meine Schuldigkeit getan. Na warte! Wir sehen uns in der Hölle wieder«, murmelte Fabio achselzuckend und zog mit seinem Karren in Richtung Weißach ab, während sich der Totengräber zum Spital aufmachte, um von Schwester Bonifatia etwas Essbares zu

Weitere Kostenlose Bücher