Der Peststurm
endlich angesprochen wird. Immerhin ist Sarah erst kurz vor unserer notdürftigen Hochzeit zum katholischen Glauben übergetreten … und unser guter Propst ist ein Priester der alten Schule. Ich kenne ihn vom Lateinunterricht und weiß, dass er in seiner Denkweise sehr altbacken ist und nicht viel von anderen Religionen hält. Hätte Sarah sich bei ihrem Übertritt nicht dazu bereit erklärt, unsere Kinder taufen zu lassen und nach den Regeln des katholischen Glaubens zu erziehen, wäre er wohl nicht so offen, wie er sich diesbezüglich seit Neuestem gibt.«
»Na also, siehst du? Der Propst wird nichts lieber tun, als euer Kind im Namen Christi taufen zu dürfen! Außerdem hat er mich gebeten, euch zur Taufe zu drängen. Wegen der Pestilenz, hat er gemeint … Man weiß ja nie.«
»Wir hätten unser Kind längst taufen lassen, möchten aber damit warten, bis Eginhard hier ist – immerhin darf er dem jüngsten Spross der Familie Dreyling von Wagrain den ersten Vornamen geben. Vielleicht ist bis dahin sogar die Pest ganz erloschen.«
»Das verstehe ich. Und was die Pest betrifft: Dein frommer Wunsch in Gottes Ohr.« Nepomuk mochte dem diesbezüglichen Frieden noch nicht so recht trauen.
Kapitel 41
»Hier hat aber jemand eine Heidenangst vor der Pest , läuft zudem Gefahr, seinen Glauben zu verleugnen und alten heidnischen Bräuchen zu verfallen«, stellte der Benediktinermönch mit einem süffisanten Grinsen in Richtung der festverschlossenen Propsteitür fest, als er mit Lodewig vor dem Gebäude stand.
Da der Sohn des Kastellans nicht wusste, was mit diesem Spruch gemeint war, ignorierte er ihn und wollte gerade – nachdem er erfolglos die Klinke gedrückt hatte – an die Tür klopfen, als ihn Nepomuk zurückhielt. »Interessiert es dich nicht, was ich damit sagen wollte?«, fragte er.
Lodewig zuckte mit den Achseln und versuchte, sein ratloses Dreinschauen damit zu kaschieren, indem er sich am Kopf kratzte, was den Eindruck erwecken sollte, er würde nachdenken.
Der Mönch lächelte milde. »Mein junger Freund, falls du nach ein paar Augenaufschlägen klüger sein möchtest als jetzt, darfst du gerne meinen Verstand in Anspruch nehmen.«
Der junge Mann wunderte sich zwar über Nepomuks merkwürdiges Verhalten, hörte ihm jetzt aber interessiert zu.
»Sieh mal«, begann der Benediktinermönch und zeigte auf die Kreideschrift an der gestrickten Holzwand. »Lies mir das vor!«
Lodewig hatte große Mühe, das offensichtlich hastig Hingekritzelte zu entziffern:
SATOR
AREPO
TENET
OPERA
ROTAS
Er hatte es gerade noch so herausgebracht.
»Gut, mein Sohn. Und was heißt das?«
Der junge Mann grübelte, bevor er antwortete: »Obwohl es Latein zu sein scheint, bleibt mir dessen Sinn verborgen. Ich habe zwar vom Propst recht gut die Amtssprache des Römischen Reiches gelernt, kann mit diesem merkwürdigen Spruch aber nichts anfangen. Aber du weißt sicherlich, was das heißt, Nepomuk.«
»Eigentlich heißt es gar nichts«, kam die verblüffende Antwort.
»Aber warum bringst du diese merkwürdigen Schriftzeichen dann in Zusammenhang mit der Pest und verbindest sie zugleich mit einer Glaubensfrage?«
»Das kann ich dir gerne sagen: Diese fünf untereinandergesetzten Wörter bilden ein magisches Quadrat.«
»Hmmm. Interessant! Wenn es nicht Latein ist, würde ich sagen, dass es sich um einen heidnischen Spruch handelt. Aber was bedeuten diese fünf Worte?«
Der Mönch lächelte zufrieden. »Nicht schlecht. Du wärst ein guter Priester geworden«, scherzte er und klärte die Sache auf. »Obwohl sich die Buchstabenreihenfolge nicht übersetzen lässt und deren Herkunft im Verborgenen liegt, hat sie eine Bedeutung: Es handelt sich sozusagen um eine Formel gegen alles Böse und Krankmachende, das von diesem Haus – in dem offensichtlich ein Feigling wohnt – ferngehalten werden soll. Du kannst das Ganze vorwärts oder rückwärts lesen. Es kommt immer dasselbe dabei heraus.«
Lodewig las die fünf Worte zuerst so, wie er es gewohnt war, und dann so, wie die Heiden Schriften zu lesen pflegten. »Tatsächlich«, stellte er erstaunt fest.
»So, mein junger Freund, die Unterrichtsstunde ist beendet. Lass uns jetzt mit dem Propst sprechen.«
Es dauerte ein Weilchen, bis Johannes Glatt das Schloss entriegelt und die Tür einen Spalt breit geöffnet hatte. Vorsichtig lugte er heraus.
»Wie gesagt: Dieser elende Feigling fürchtet wirklich nicht nur Tod und Teufel, sondern verleugnet zudem unsere Mutter
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