Der Peststurm
gewollten Arbeitstage, geschweige denn an den heiligen Sonntagen, für Eure Gemeinde da gewesen seid und Euch nur mit Eurem Repertorium be … « Nepomuk runzelte die Stirn, während er seine Entschuldigung unterbrach und schon wieder loslegte: »Was ist eigentlich ein ›Repertorium‹? Handelt es sich dabei um einen Folgeband der von Euch erstellten Staufner Kirchenchronik? … ›Repertorium‹! Eine fürwahr merkwürdige Bezeichnung, die Ihr Euren Aufzeichnungen gegeben habt. Für Eure zahlreich dahinschwindenden Schäflein mag sich das gewaltig anhören. Aber wäre die altbewährte Bezeichnung ›Pfarrmatrikel‹ nicht passender? Na ja! Mir soll’s egal sein. Was das Volk glaubt, macht es bekanntlich selig.«
Während Nepomuk kopfschüttelnd die Weinkaraffe abstellte und darauf achtete, dass sie in seiner und nicht in der Nähe des Propstes stand, wollte sein Gegenüber protestieren und erklären, dass es sich tatsächlich um den zweiten Band einer sich fortsetzenden Chronik handelte, die allerdings nicht nur mit den Dingen der Kirche allein zu tun hatte. Bevor er richtig zu Wort kam, wurde er von Nepomuk, dem es in seiner Wut auf Johannes Glatt egal war, unhöflich zu wirken, jäh unterbrochen: »Aha! Jetzt weiß ich wieder, wo ich war: Ihr habt Euch mit Eurem ›Repertorium‹ … «, als er dieses Wort schon wieder aussprach, verdrehte Nepomuk die Augen, »befasst, während da draußen heulendes Elend herrschte. Ja, meint Ihr allen Ernstes, dass Euer kluges Geschreibsel jetzt irgendjemanden interessiert?« Der heilkundige Mönch blickte dem verwirrten Propst prüfend in die Augen, bevor er ihm einen abschließenden Rat erteilte: »Sofern Ihr die Wahrheit schreibt und keine wichtigen Begebenheiten auslasst, könnte es allerdings sein, dass Eure Aufzeichnungen in 300 oder 400 Jahren interessant werden.«
»Darf ich jetzt auch etwas sagen?«, bat der Propst, erregt zitternd und mit geschlossenen Augen, während er sich zur Beruhigung seinen Nasenrücken massierte.
»Dafür wird es allerhöchste Zeit«, antwortete sein Gast, der aber selbst entscheiden wollte, wann sein Gegenüber antworten durfte. Dafür ließ er ihn jetzt ausführlich zu Wort kommen und hörte sich geduldig dessen Ausflüchte an, was die Dauer von weiteren zwei Bechern Wein in Anspruch nahm. Danach legte er ihm eine Hand auf die Schulter und erklärte mit ruhiger Stimme: »Gut! Jetzt haben wir genügend Wein der Erkenntnis getrunken und wissen, was wir voneinander zu halten haben. Ich schlage vor, dass wir uns endlich wie Brüder im Geiste und Glauben benehmen.« Nepomuk streckte dem Mönch seine Rechte entgegen und sagte: »Ich biete Euch das Du an. Ich heiße Johannes Nepomuk! Aber Nepomuk genügt.«
Der inzwischen angeheiterte Ortspfarrer räusperte sich, bevor er antwortete: »Also gut! Auch ich wurde auf den Namen Johannes getauft.«
Nachdem sie die Becher geleert hatten, schenkte der Mönch dem Propst noch einmal ein, um sich dann mit ihm über die Taufe von Sarahs und Lodewigs Sohn zu unterhalten. »Wo ist der Schlingel eigentlich?«
Kapitel 42
Lodewig war der Zankerei zwischen Propst Glatt und Nepomuk überdrüssig geworden, weswegen er – ohne sich abzumelden – das Propsteigebäude verlassen hatte, um sich im Dorf umzusehen. Er wusste, dass die Pest zwar nachzulassen schien, aber immer noch akute Ansteckungsgefahr bestand. Deshalb würde er bei seinem Streifzug durch Staufen besonders vorsichtig sein müssen und um Gottes willen ja nichts und niemanden berühren. Aber wenn er schon einmal im Dorf war, wollte er sich wenigstens einen groben Überblick vom Gesamtzustand seines Heimatortes verschaffen.
Mit Rücksicht auf Sarah und das Kind hatte er seit dem Brand das Schloss nicht mehr verlassen. Jetzt aber wollte er wissen, was im Ort los war und wie es seinen Mitmenschen ging. Da der Sohn des Kastellans soeben mitbekommen hatte, wie der Benediktinermönch wegen der leerstehenden Pfarrkirche Propst Glatt angeklagt hatte, ging er aufs Geradewohl erst einmal dorthin, um sich nach Möglichkeit selbst ein Bild von der Situation machen zu können.
*
Am Kirchenportal angekommen, sah er sofort, dass man es gewaltsam aufgebrochen hatte, weswegen es verzogen war und klemmte. Dadurch hatte Lodewig Mühe, es zu öffnen. Hätten sich nicht irgendwelche Kirchenfrevler daran zu schaffen gemacht, wäre er überhaupt nicht hineingekommen, da der Pfarrherr stets sorgsam darauf achtete, seine Kirche verschlossen zu halten. Als er
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