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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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es endlich quietschend nach außen zog, kam ihm nicht nur ein abgemagerter und winselnder Köter, sondern auch bestialischer Gestank entgegen. Dieses im Spital und in den meisten Behausungen der hiesigen Bevölkerung seit Monaten fast als normal zu bezeichnende Gemisch aus Körperflüssigkeiten, Tod und Verwesung hatte der wohlbehütete junge Mann bisher nicht gekannt. Umso mehr grauste es ihn, was ihn aber nicht davon abhielt, der Sache nachzugehen. Neugierig geworden, band er sich ein Tuch vors Gesicht und trat ein.
    »Pfui Teufel«, schrie er, als der Gestank innerhalb der Kirche noch beißender wurde.
    Sein Schrei hallte durch das ansonsten totenstille Gotteshaus und schreckte ein paar Fledermäuse auf. Es dauerte eine Weile, bis sich seine Augen an das typisch schummrige Licht einer Kirche gewöhnt hatten. Er stolperte über etwas und blickte nach unten. Als er erkannte, auf was er fast getreten wäre, erschrak er und wich entsetzt zurück: Ein toter Hund! Lodewig blickte bestürzt um sich. Dort lag noch einer.
    Oh je! Das sind ja mindestens 20 oder noch mehr Tierkadaver – kein Wunder, dass man im Dorf keine Hunde mehr sieht, resümierte er.
    Er entdeckte haufenweise vertrockneten Kot und Kratzer in der hölzernen Portaltür. Vorsichtig stieg er über die verwesenden oder bereits mumifizierten, teilweise sogar schon skelettierten Tierkörper, unter denen sich allem Anschein nach auch ein paar Füchse und sogar ein Marder befanden.
    Ratten und Fledermäuse sind hier die einzigen lebenden … und offensichtlich wohlgenährten Kreaturen, stellte Lodewig fest, um gleich darauf zu ergänzen: und Maden, tausende Maden.
     
    Während er langsam den Mittelgang entlangging und dabei abwechselnd nach links und rechts blickte, wo früher hölzerne Bankreihen gewesen waren, schüttelte er immer wieder ungläubig den Kopf.
    Auch dort fand er Tierkadaver und überall menschliche Leichen, von denen meist noch weniger übrig war als von den Tieren. Als Lodewig einen toten Hund sah, dessen Schnauze in der Bauchöffnung eines menschlichen Gerippes lag, konnte er sich zusammenreimen, was hier geschehen war. Die Menschen sind zuerst gestorben, fasste er das Ganze zusammen. Und er hatte recht: Im Laufe der Zeit mussten immer wieder pestkranke Menschen die Kirche aufgesucht haben, um hier die ewige Erlösung zu erbitten und im Schutze Gottes zu sterben. Vielleicht waren sie auch von ihren Verwandten hierhergebracht worden? Jedenfalls musste deren Gestank nach und nach verhindert haben, dass jetzt noch gesunde Menschen hierher kamen. Dafür waren ausgehungerte Tiere, die sich an diesem Ort eine gute Mahlzeit erhofft und wohl auch gefunden hatten, angelockt worden. Wie die Kratzer am Portal eindrucksvoll belegten, musste wohl irgendwann jemand das Kirchenportal fest zugeschlagen und somit die bedauernswerten Tiere eingeschlossen haben. Dass es nicht einmal der Marder nach draußen geschafft hatte, war ein Beweis dafür, dass die Kirche bis jetzt verschlossen gewesen war und es kein einziges Schlupfloch gab.
    Als Lodewig seinen Blick nach oben zu den Kirchenfenstern schweifen ließ, sah er, dass alle Scheiben unbeschädigt waren.
    Wenn eine größere Butze kaputt wäre, hätten sich auch noch die Krähen an dem Festmahl beteiligt, dachte er, während seine Augen vergeblich die Kreuzigungsgruppe suchten. Aber die gab es nicht mehr.
    Wahrscheinlich hat man sie ebenso zu Feuerholz verarbeitet wie die Kirchenbänke, mutmaßte er, während er sich entsetzt nach allen Seiten umsah.
    Irgendwann reichte es Lodewig; er schlug hastig ein Kreuz und eilte zum Ausgang zurück. Er hatte genug gesehen.
     
    *
     
    Zur sowieso schon unangenehmen Atmosphäre erwartete ihn draußen aufziehender Nebel, der das Seine dazu tat, die Szenerie noch düsterer erscheinen zu lassen, als dies sowieso schon der Fall war.
    Lodewig fröstelte, als er das soeben Gesehene Revue passieren ließ und auf den Straßen schon wieder Pesttote erblickte, von denen er aufgrund ihres Aussehens vermutete, dass diese schon längere Zeit dort lagen. Ihn wunderte, dass die Leichen manchmal haufenweise so zusammengeschichtet waren, dass sie infolge des Verwesungsfortschritts zu einer klumpenartigen Einheit verschmolzen waren, während andere Körper einzeln auf den Straßen lagen oder an Hauswänden lehnten. Lodewig staunte auch über die vor den Behausungen herumliegenden menschlichen Extremitäten und Knochen. Er vermutete, dass diese von irgendwelchen Tieren abgerissen, abgenagt

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