Der Peststurm
Pestilenz bringen. Wie du weißt, darf ich auf Anordnung Speens sowieso niemanden mehr ins Schloss hereinlassen. Nur so können wir uns alle vor dem schrecklichsten aller Tode schützen. Du bist der Einzige, der unter strikter Einhaltung der von uns besprochenen Vorsichtsmaßnahmen ins Dorf hinunter darf. Allein schon die Tatsache, dass wir uns mit unserer neuen Verwandtschaft austauschen und du tagtäglich zu ihnen gehst, birgt über die Gefahr einer Ansteckung hinaus genügend Risiko.«
»Wie meinst du das? Das verstehe ich nicht.«
Der Vater zögerte, bevor er die Antwort gab: »Na ja, unabhängig davon, dass das Risiko einer Infektion durch deinen täglichen Kontakt mit anderen Menschen doch recht groß ist, habe ich schon vor längerer Zeit gehört, dass der Lederer Hemmo Grob das Auslösen der Pest den Bombergs in die Schuhe schieben möchte, weswegen ich befürchte, dass Unheil aufziehen könnte.«
»Wenn Grob meiner Sarah auch nur ein Haar krümmt, bringe ich ihn um«, fuhr der impulsive junge Mann hoch. »So eine Narretei! Was haben denn die Bombergs mit dem Ausbrechen der Pest zu tun?«, schimpfte er, seine Hände zu Fäusten ballend, los. »Außerdem habe ich keinen Kontakt mit ›anderen‹ Menschen, sondern ausschließlich zu den Bombergs … , einem Teil meiner … unserer Familie!«
»Beruhige dich, mein Sohn. Es sind die alten Sprüche aus dem Mittelalter, die besagen, dass die Pest immer dann ausbricht, wenn Juden einen Brunnen vergiftet haben … Aber den Unsinn glaubt doch heute niemand mehr«, versuchte der Vater, Lodewig zu beruhigen.
»Aber wenn doch?«
Da dem Kastellan keine Antwort einfiel, zuckte er nur mit den Schultern.
»Ich werde jedenfalls wachsam sein und auf Sarah achten«, antwortete Lodewig und wechselte das Thema. »Was ist mit Eginhard? Könnte er nicht kommen, um Mutter zu helfen?«
Sein Vater zog die Augenbrauen hoch und presste die Lippen zusammen, bevor er antwortete: »Als vor drei Wochen eine günstige Gelegenheit war, konnte ich über Immenstadt ein Sendschreiben nach Bregenz bringen lassen, in dem ich Eginhard die Krankheit deiner Mutter, so gut ich es vermochte, beschrieben und ihn um Rat gebeten habe. Allerdings glaube ich nicht, dass er sich so kurz vor dem Abschluss seines Studiums schon wieder freimachen kann. Außerdem weiß ich nicht einmal, ob ihn mein Brief überhaupt erreicht hat. Der Bote könnte die Pest bekommen haben und unterwegs zusammengebrochen sein. Es ist auch möglich, dass er Raubgesindel in die Hände gefallen ist. Falls mein Schreiben aber doch im Kloster Mehrerau angekommen sein sollte, ist nicht sicher, ob schon eine Antwort deines Bruders auf dem Weg über Immenstadt zu uns ist. Sollte dies tatsächlich der Fall sein, wäre das Sendschreiben aber immer noch nicht bei uns in Staufen. Die Pest hat alles durcheinandergebracht. An den Ortseingängen stehen jetzt wieder die Schilder, auf denen das Immenstädter Oberamt darauf hinweist, dass niemand in den Ort herein und niemand hinaus darf. Somit ist es momentan kaum möglich, Briefe auszutauschen und … «
»Einen kleinen Hoffnungsschimmer gibt es dennoch«, unterbrach Lodewig seinen Vater, dessen Augen sich schlagartig vergrößerten.
»Ja, mein Sohn?«, fragte er ungläubig.
»Da es den Bombergs mittlerweile zu Hause auch zu eng wird und Frau Bomberg sowieso nach Mutter sehen möchte, habe ich gestern mit ihr besprochen, dass ich heute nicht zu ihnen ins Dorf hinunter gehen werde, sondern sie stattdessen mit Sarah zu uns kommt.«
»Um Gottes willen, Lodewig«, entfuhr es dem entsetzten Vater, der sogleich ansetzen wollte, ihm ein Schreckensszenario zu entwerfen und auf die Vorgaben des Grafen zu verweisen.
»Keine Angst«, bremste ihn der Sohn. »Sie werden auf ihrem Weg zu uns die gleiche Vorsicht walten lassen, wie du sie mir für meinen Weg ins Dorf hinunter eingebläut hast … Und der Graf ist weit weg.« Als er letzteres sagte, grinste Lodewig vielsagend.
»Aber weshalb ist der Besuch von Frau Bomberg und Sarah ein Hoffnungsschimmer für Mutter?«, hakte der Vater, dem Graf Königsegg momentan auch nicht wichtig war, nach.
»Eginhard hat ihr und Rosalinde damals – als Mutter sterbenskrank war – detailgenau erklärt, wie die nassen Wickel angelegt werden müssen … Und da unsere gute Rosalinde leider nichts von alledem, was Eginhard erzählte, verstanden hat, kann nur noch Sarahs Mutter helfen. Und dies würde sie wirklich sehr gerne tun!«
Der Vater strich sich den Bart
Weitere Kostenlose Bücher