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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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ebenfalls immer wieder weinen musste, in den Sargdeckel sogar ein kleines Kreuz als Element für den Glauben, ein Herz für die Liebe und eine Sonne für die Hoffnung geschnitzt. Das Herz und die Sonne hatte er zusätzlich auch noch aus dünnem Holz herausgesägt und die Symbole der Liebe und der Hoffnung links und rechts auf den Querbalken des Kreuzes genagelt. Er hatte außerdem das Herz rot und die Sonne gelb angemalt. Als er mit dem Hammer auf die Nägel schlug, liefen ihm schon wieder Tränen über die Wangen.
     
    *
     
    Der jüngste Spross der Familie Dreyling von Wagrain wurde in aller Stille der ewigen Ruhe übergeben. Es war ein jammervolles Bild, das sich dem Propst bot. Konstanze war so schwach, dass sie von ihrem Mann und ihrem mittleren Sohn gestützt werden musste. Ihre markerschütternden Schreie hörte man wohl bis ins Dorf hinunter. Als der Priester Erde auf den Sarg warf, wollte die verzweifelte Mutter am liebsten mit in die Grube steigen. Nur durch sanftes Zureden gelang es, sie daran zu hindern. Ulrich und Lodewig hatten allergrößte Mühe, Konstanze, die schlagartig ungeahnte Kräfte entwickelte, festzuhalten. Außer ihnen waren nur noch Siegbert, Ignaz, Judith und Jakob Bomberg anwesend. Die kleine Lea hatten sie bei Sarah und ihrem Säugling im Schloss gelassen. Die Wöchnerin konnte die traurige Zeremonie von einem Turmfenster aus mitverfolgen. Rudolph musste Wache schieben, vermochte aber von seinem Wachposten aus ebenfalls der Beerdigung beizuwohnen.
    Rosalinde durfte sich keinesfalls blicken lassen. Der Kastellan hatte seiner Frau hoch und heilig versprechen müssen, sie bei der nächsten Lichtmess gegen eine andere Magd auszutauschen. Da sich Rosalinde noch nie das Geringste zu Schulden hatte kommen lassen und er selbst in der unglückseligen Sache mit dem offenen Gartentürchen nicht mehr als eine Verknüpfung tragischer Umstände sah, hoffte er im Stillen, dass sich seine Frau bis zum zweiten Februar beruhigen und die Magd behalten würde. Die brave Magd allein für das Unglück verantwortlich zu machen und sie da draußen womöglich an der Pest krepieren zu lassen, wäre vor Gott und den Menschen falsch. Nein, das verdient sie wirklich nicht, hatte er bei sich gedacht, als er Rosalinde aufgetragen hatte, sich unter keinen Umständen bei ihrer Herrin blicken und sich stattdessen von Ignaz in eine Arbeit außerhalb des Vogteigebäudes einweisen zu lassen.
     
    *
     
    Als für den Kastellan die Stunde des Abschieds kam, entzündete er in der Bubenkammer eine Kerze und wies Lodewig an, sorgsam darauf zu achten, dass auch die Kerzen in der Schlosskapelle ständig erneuert würden, wenn diese heruntergebrannt waren.
    »Aber Vater, sind Kerzen nicht zu wertvoll, um sie auch tagsüber brennen zu lassen?«, meinte Lodewig es in seiner gleichsam schmerz- und freudebedingten Verwirrtheit gut, erntete dafür aber nur einen strengen Blick seines Vaters.
    »Ich möchte mich von Mutter verabschieden und bitte dich mitzukommen«, sagte er fast etwas zu schroff.
    Sie setzten sich ganz nah an Konstanzes Lager und sprachen zu dritt ein Gebet ums andere, so lange, bis die erschöpfte Frau in Schlaf fiel. Der besorgte Familienvater tat, was seine Frau mit dem Neugeborenen umgekehrt getan hatte: Er küsste sie auf die Stirn, bevor er darauf mit dem Daumen ein Kreuz zeichnete. Dann strich er ihr auch noch zart über die Wangen, während er sich – von ihr schon ungehört – verabschiedete. Danach küsste er auch Lodewig auf die Stirn, drückte ihn fest an sich und gemahnte ihn, niemals zu vergessen, dass er während seiner Abwesenheit der Herr im Haus sei.
    Er gab ihm und den Wachen noch schnell einige Anweisungen, bevor er das bereits von Ignaz gesattelte Pferd bestieg.

Kapitel 23
     
    Dem Kastellan war es nicht wohl bei dem Gedanken, seine Frau schon am Tage nach Diederichs Beisetzung der alleinigen Obhut seines mittleren Sohnes überlassen zu müssen. Letztendlich aber war es Konstanzes ausdrücklicher Wunsch gewesen, dass – nachdem Diederich der Erde übergeben worden war – der Vater persönlich ihrem Erstgeborenen die traurige Nachricht überbringen sollte.
    So machte er sich schweren Herzens auf den gefährlichen Weg ins vorarlbergische Bregenz. Als er durch Staufen ritt, kam ihm Judith Bomberg mit voll bepackten Kretten und einem flatternden Huhn in der Hand entgegen.
    Die Jüdin berichtete, dass ihr Mann und ihre kleine Tochter Lea so lange, wie der Kastellan abwesend sein würde, allein zu

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