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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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Hause blieben, damit sie sich mit Lodewigs Hilfe Tag und Nacht um Konstanze, Sarah und den Säugling kümmern könnte.
    »Und damit ist dein Mann einverstanden?«, fragte der Kastellan ungläubig.
    »Ja, Ulrich! Jakob ist dies nur allzu recht. ›Wenigstens seid ihr zwei einige Tage vor der Pest und anderer Unbill in Sicherheit. Lea und ich kommen schon allein klar. Mach dir deswegen keine Gedanken‹, hat er mir zum Abschied gesagt.«
    Dabei hatte der treusorgende Familienvater Judith verschwiegen, dass seine größere Sorge derzeit dem unberechenbaren Schuhmacher Hemmo Grob galt. Spätestens seit es Steine gegen ihr Haus gehagelt hatte, wusste er, dass der ›Pater‹ vor keiner Schandtat zurückschreckte und brandgefährlich war. Am liebsten hätte er die kleine Lea ebenfalls dem Schutz des Schlosses anvertraut, wollte Judith und Lodewig aber nicht noch mehr Arbeit aufbürden. Außerdem mochte er nicht so dastehen, als wenn ihn das ganze Ungemach kalt ließe und er sich nicht daran beteiligen wollte.
    Der ansonsten doch recht hartgesottene Schlossverwalter hatte große Mühe, Judith gegenüber Tränen der Dankbarkeit zu unterdrücken. Verstohlen wischte er sich mit einer Hand über die Augen und den Bart. »Lodewig hilft dir, wenn es an etwas mangeln sollte«, überspielte er seine momentanen Gefühle, die – wie er glaubte – eines gestandenen Mannes nicht würdig waren.
    Bevor er sein Pferd endgültig antrieb, rückte er seinen leichten, aus dünnem Blech getriebenen Kürass , den er sich zu seiner Sicherheit schon vor dem Krieg von einem Vorarlberger Blattner extra für Reisen hatte anfertigen lassen, zurecht und drehte sich noch einmal um.
    »Danke! Gott schütze euch!«
    Welcher Gott auch immer seine schützende Hand über die aufopferungsbereiten Bombergs halten würde, war dem Kastellan einerlei. Hauptsache, der jüdischen Familie würde kein solches Unglück geschehen, wie es ihm und den Seinen widerfahren war. Dass sich während seiner Abwesenheit Judith Bomberg um seine Frau kümmern würde und Sarah ebenfalls im Schloss war, beruhigte ihn ungemein. So konnte er sich denn getrost zum Kloster Mehrerau aufmachen, um seinem Ältesten die Hiobsbotschaft zu überbringen. Aus Sicherheitsgründen wählte er nicht den kürzeren Weg über den Bregenzer Wald, sondern nahm die ihm vertrautere Salzstraße, deren Verlauf fast über Lindau nach Bregenz führte.
     
    *
     
    Die Reise verlief ruhig, und Ulrich Dreyling von Wagrain kam auch gut voran. Dennoch war es kein angenehmer Ritt. Zunehmend begegneten ihm menschliche Wracks, deren Schicksale er sich nur allzu gut zusammenzureimen vermochte, obwohl er sie nicht danach fragen konnte, weil er ihnen nicht zu nahe kommen durfte. Er sah Hunderte verhärmter Gestalten, die mit ihren dürftigen Habseligkeiten aus allen Richtungen in alle Richtungen zu fliehen oder ziellos umherzuirren schienen. Darunter befanden sich auffallend wenig Alte und Kinder.
    Die Schwächsten hat es immer schon zuerst getroffen, dachte er, während er sich mit dem Fuß eines allzu aufdringlichen Bettlers erwehrte.
    Der Kastellan wusste, dass er nach wie vor jede Nähe zu den Menschen meiden musste, wenn er sich nicht der Gefahr einer Infektion aussetzen wollte.
    Sicherheitshalber hatte er sich ein Tuch vor’s Gesicht gebunden und sah deshalb selbst aus wie ein Haderlump in einer gestohlenen Landsknechtrüstung, der etwas zu verbergen hatte oder ein Unrecht plante. Und dass der große Schlapphut sein halbes Gesicht verbarg, ließ ihn auch nicht gerade vertrauenserweckender wirken.
    Obwohl er stets darauf bedacht war, nur durch Ansiedlungen zu reiten, wenn es sich nicht umgehen ließ, und er zudem ständig darauf achtete, gebührende Distanz zu den Menschen am Wegesrand zu halten und notfalls seinem Pferd die Sporen zu geben, erfuhr er von vielen Pesttoten in Wangen, Kißlegg, Eglofs und Herlazhofen. Auch in Friesenhofen und in anderen oberschwäbischen Orten, die er auf seinem Weg an den Bodensee nicht passieren würde, sollte es zu Hunderten von Todesfällen durch die Pest gekommen sein. Der Kastellan erfuhr aber auch aus ersten Quellen, dass diese vermaledeite Seuche nicht das alleinige Übel war.
    Die grausamsten Begebenheiten erzählten ihm Flüchtlinge aus Singen am Hohentwiel, die wegen schwedischer Söldner oder kaiserlicher Landsknechte durch die Hölle hatten gehen müssen. Die meisten von ihnen hatten aber nicht nur ihr Vieh und ihre gesamte Habe verloren, vielmehr waren auch noch

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