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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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mindestens zwei, drei Tage dauern, bis der Kastellan mit Eginhard wieder hier wäre – lange Tage und Nächte, während derer der Kastellan seine kranke Frau und Lodewig mit dem toten Diederich allein lassen müsste. Unmöglich! Da nützte es auch nichts, wenn ihnen der familiäre Beistand der Bombergs zuteil würde und sie Trost durch den Säugling haben würden.
    Jetzt hatten sie mit Diederichs Beerdigung schon so lange gewartet, bis der neue Erdenbürger das Licht der Welt erblickt hatte. Die Sache noch weiter hinauszuschieben, ließ die Vernunft allerdings beim besten Willen nicht mehr zu. So beschlossen sie schweren Herzens, Diederich in einem extra hierfür bereiteten Bettchen noch so lange neben der Mutter zu belassen, bis seine fleischliche Hülle morgen auf der Anhöhe westlich des Schlosses in aller Stille Gott dem Herrn zurückgegeben werden würde.
    »Der eine muss gehen … «, hatte Konstanze mit trauriger Miene gesagt und zu Diederich ins Bettchen geschaut, »und der andere darf kommen«, hatte sie dann noch mit einem merkwürdigen Lächeln auf den Lippen geflüstert und den Neugeborenen noch fester an sich gedrückt, nachdem die Sache besprochen worden war.
    Wenn die Mutter erwartungsgemäß die Trennung von ihrem Kind weiter hinauszögern wollte, konnte man ihr den Kleinen in Gottes Namen noch einen zusätzlichen allerletzten Tag lassen, ohne gleich die Gefahr einer Seuche durch das gefürchtete Leichengift heraufzubeschwören.
    Letztendlich waren sie sich auch darüber einig geworden, dass das Studium ihres ältesten Sohnes nicht gefährdet werden dürfe und er erst nach der Beerdigung vom Tod seines Bruders in Kenntnis gesetzt werden sollte.
    Wie an anderen Studierorten auch, ging das Studienjahr im Kloster Mehrerau offiziell erst an Silvester zu Ende. Das würden noch drei lange Monate sein. Da es mit der Berechnung eines Studienjahres allerdings nicht so genau genommen wurde und die Studierzeit in erster Linie vom Fleiß und von der Intelligenz der Studiosi abhing, könnte es gut sein, dass Eginhard seine Doctorwürde früher erlangen würde als geplant. Dennoch würden sie mit der Beerdigung nicht auf ihn warten können – so kalt war nicht einmal der tiefste Kellerraum des Schlosses. Außerdem war es sowieso besser, den verstorbenen Jungen in der dafür gebotenen Zeit unter die Erde zu bekommen, damit sich die Mutter nicht noch länger an ihren toten Sohn klammern konnte, sondern Trost beim Umgang mit ihrem Enkel fand. Es war schon beklagenswert genug, mit ansehen zu müssen, wie sich Konstanze um ihren toten Letztgeborenen kümmerte – gerade so, als würde er noch leben. Anfangs hatte man den kleinen Liebling direkt neben sie auf das Lager ihres Mannes betten müssen, während der Kastellan die Nacht über auf die Ofenbank in der Küche verbannt worden war. Erst tags darauf hatte der Kleine in das Bettchen, das direkt neben Konstanzes Lager gestellt worden war, gelegt werden dürfen. Und dies hatte Konstanze irgendwie ruhiger werden lassen.
     
    *
     
    Nun aber, als für die Beerdigung alles vorbereitet worden war, hatte ihr der Kastellan den geliebten Sohn mit sanfter Gewalt nehmen müssen, um ihn in den kleinen Sarg, den Ignaz mit viel Liebe zusammengezimmert und den Rosalinde mit extra hierfür kurz geschnittenem Heu aufgepolstert und mit weißem Leinen ausgekleidet hatte, legen zu können.
    Der Propst wollte den Totengräber zum Schloss hochschicken, um die kleine Grube auszuheben. Aber dem Kastellan wäre es nie in den Sinn gekommen, diesem ekelerregenden Menschen diesen letzten Liebesdienst für seinen Sohn anzuvertrauen. Auch wenn der Kastellan nicht ahnte, dass Ruland Berging Schuld an Diederichs Tod hatte, traute er ihm nach wie vor nicht. Außerdem konnte er aufgrund seiner Arbeit die Pest ins Schloss schleppen. Sicher, Fabio wäre eine Alternative zum Ausheben der Grube gewesen. Aber auch er konnte den Keim der ansteckenden Seuche an sich haben.
    So schaufelten Vater und Bruder das Grab letzten Endes selbst. Obwohl sie dabei abwechselnd immer wieder von Weinkrämpfen geschüttelt wurden, ließen sie sich nicht einmal von Ignaz helfen. Der hatte sowieso kaum Zeit, weil er noch mit der Herstellung eines Kreuzes beschäftigt war. Wie beim Sarg, bei dem er sich besonders viel Mühe gegeben und die rauen Schwertlinge auch noch glatt geschliffen hatte, tat er auch jetzt alles, um seinen Teil an Diederichs Beerdigung beizutragen. So hatte der treue Knecht, der während seiner Arbeit

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