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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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ihre Höfe abgefackelt und ihre Angehörigen massakriert worden.
     
    *
     
    Als zu Beginn des Großen Krieges die Truppen der Katholischen Liga und der Protestantischen Union noch soldatisch geordnet gewesen waren, hatten sie sich einigermaßen an den militärischen Ehrenkodex gehalten, der europaweit besagte, dass Zivilisten zwar durch mehr oder weniger freiwillige Abgaben dazu beitragen ›durften‹, das Kriegsvolk beider Seiten zu ernähren, wobei das ungeschriebene Gesetz: ›Wer zuerst kommt, mahlt auch zuerst‹ galt. Zivilisten durften jedoch weder sinnlos gequält noch umgebracht werden … , es sei denn, sie widersetzten sich den Anordnungen der Heerführer. Der Kodex gebot des Weiteren, dass Kinder, Alte und Gebrechliche in jeder Hinsicht tabu waren und weder junge Maiden noch reife Frauen zur Fleischeslust gezwungen werden durften. Waren gerade diese Gebote noch nie korrekt eingehalten worden, verhielt sich die Moral jetzt wie ein streunender Hund. Spätestens seit der Zersplitterung vieler Truppenteile waren die ethischen Wertmaßstäbe beider Kriegsseiten auf die unterste Latte gerutscht. So waren nicht nur die Reste fremder Heere auf dem besten Weg, direkt in die Hölle zu fahren, auch die ehedem gottgefälligen deutschen Landsknechte machten ihren der Pest hilflos gegenüberstehenden Landsleuten das Leben zusätzlich schwer. Was war aus den strammen Soldaten von einst nur geworden?
     
    *
     
    Obwohl überall schwarze Rauchschwaden hochstiegen, glaubte der Kastellan, anhand der im Winde flatternden Fahnen kaiserliche Truppen auszumachen, die – so sah es zumindest aus – Lindenberg übernommen hatten. Oder war es der österreichische Adler, den er auf den Fahnenkartuschen zu sehen glaubte? So oder so war es ihm einerlei. Er wollte nur schnell vorwärts kommen und schlug deswegen einen großen Bogen um das ehemals schöne Pferdestädtchen .
    Früher übten schon die Kaiserlichen, letztes Jahr zweimal die Schweden unter General Gustaf Graf Horn und jetzt offensichtlich schon wieder Schergen des Kaisers in Lindenberg die Macht aus. Die armen ›Außer-Vorarlberger‹, dachte er und war froh, Lindenberg unbeschadet hinter sich gelassen zu haben. Er hoffte, auch beim meilenlangen und ungemein steilen Stück zum See hinunter keine Probleme zu bekommen. Schon bald nach Scheidegg musste er allerdings befürchten, dass sein Pferd auf dem Geröll des ungepflasterten Saumweges ausrutschen und sich womöglich eine seiner schlanken Fesseln brechen könnte.
    Aber dem Herrn sei’s gelobt, alles ging gut.
    Bei Leutenhofen berichtete ihm ein Bettelmönch, dass in der vergangenen Woche scheinbar die letzten Schweden bis auf einige ›Schutzwachen‹ aus dem Allgäu abgezogen waren und vorgestern sogar die 600 Mann starke kaiserliche Besatzung bis auf 40 Mann, die jetzt noch auf der Kemptener Burghalde stationiert waren, die Stiftsstadt verlassen habe. Er selbst war aber nicht aus Feigheit oder gar wegen der gottlosen Lutheraner auf dem Weg zum Bodensee. Vielmehr war er aus Kempten gewichen, weil es dort – ebenso wie in Memmingen, wo er zuvor gewesen war – nichts mehr zu essen gab, vor allen Dingen aber, weil die Stadt durch und durch verpestet war und er sein Leben erhalten musste, um auch fürderhin den Bedürftigen helfen zu können.
    »Wer’s glaubt, wird selig.«
    »Was?«
    »Ich habe nur den Abzug der Schweden gemeint«, gab der Kastellan zurück.
    Während der Mönch überlegte, ob es der Herr hoch zu Ross tatsächlich so gemeint haben könnte, tastete er seinen trotz scheinbarer Entbehrungen feisten Wanst ab und bemerkte noch, dass die Lieferung von Lebensmitteln nach Kempten endgültig eingestellt worden war. Um davon abzulenken, dass er eventuell aus Arbeitsscheu oder doch aus gottserbärmlicher Feigheit geflohen war, hielt er mit einer Hand sein um den Hals hängendes Holzkreuz in Richtung Himmel und ballte mit der anderen eine Faust, die Kampfbereitschaft vortäuschen sollte: »Vor den Bewaffneten habe ich keine Angst, ich fürchte nur den unsichtbaren Tod, der des Teufels ist«, schrie er dem davonpreschenden Kastellan nach, der keine Lust mehr hatte, sich das dumme Geschwätz des heruntergekommenen Geistlichen noch länger anzuhören.
     
    Aber nicht nur versprengte Soldatenhorden saugten die Bevölkerung bis auf den letzten Blutstropfen aus. Auch die wenigen, von ganz besonders respektierten Kommandeuren immer noch einigermaßen zusammengehaltenen Truppenteile nahmen sich mittlerweile, was sie

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