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Der Peststurm

Der Peststurm

Titel: Der Peststurm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Wucherer
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kriegen konnten. Aufgrund der Nahrungsmittelknappheit wussten die Landsknechtsführer oftmals keine bessere Lösung, als ihren Männern die Plünderung einzelner Bauernhöfe und sogar ganzer Dörfer mehr oder weniger offiziell zu gestatten. Waren früher noch die Artilleristen von den Plünderungen ausgenommen, weil der Sold der Stückknechte wesentlich höher gelegen hatte als der eines einfachen Landsknechtes, beteiligten sich diese jetzt umso eifriger an den Gemetzeln. Und wenn die Zivilisten all ihrer Habe beraubt waren, ließen sie auch noch ihre Geschütze, denen sie so klangvolle Namen wie ›Tolle Grete‹ oder ›Faule Magd‹ gegeben hatten, sprechen – einfach so zum Spaß.
    Darüber, dass die Soldaten bei ihren Raubzügen nicht gerade zimperlich vorgingen und sich auch für ihre Fleischeslust brutal nahmen, was sie begehrten, sahen weniger schneidige Kriegsherren darüber hinweg und beteiligten sich oftmals sogar selbst an Massakern und Vergewaltigungen. Die Verrohung der Sitten nahm parallel zur sinkenden Moral der Soldateska immer weiter zu.
     
    Dies bekam auch der Kastellan hautnah mit. Er konnte es nicht fassen, was er auf seinem Weg die Ortschaften entlang an Gräueln und deren Hinterlassenschaften zu sehen oder zu hören bekam. Landauf, landab hatten Tod und Elend gnadenlos Einzug gehalten. Kaum ein Weiler war verschont geblieben. Überall stiegen dunkle Rauchwolken auf.
    Wie mag es wohl in den größeren Dörfern und Städten aussehen, wenn ich hier schon so viel Schlimmes um mich herum habe?, dachte ein zutiefst deprimierter Ulrich Dreyling von Wagrain beim Anblick der vielen Invaliden und Verletzten, der Dahinsiechenden, Sterbenden und Toten, die seinen Weg säumten. Weshalb sie ihr Leben hatten lassen müssen, war nicht immer sofort erkennbar. Unabhängig von der großen Pestilenz, waren die meisten von ihnen an Wundbrand als Ergebnis äußerer Verletzungen oder hungers gestorben.
     
    *
     
    Für einen kurzen Moment überkam ihn sogar fast ein Gefühl des Glücks, zumindest der Erleichterung. Er hatte den gefährlichsten und größten Teil seiner Strecke geschafft. Sein Blick schweifte melancholisch über den glitzernden Bodensee. Obwohl er nicht so oft in diese fruchtbare Ebene kam, wie er gerne wollte, mochten sich seine Augen nicht an der unbeschreiblichen Schönheit dieser Gegend und der gewaltigen Wasserfläche mit ihrem schilfigen Uferbesatz laben – seine Gedanken waren bei seinem toten Sohn und den anderen Mitgliedern seiner über alles geliebten Familie.
    Wie gerne wäre er unter anderen Umständen bis an den Lindauer Hafen geritten, um dort ein Weilchen zu verweilen und zuzusehen, wie die Lädinen ent- und beladen würden, bevor sie wieder in Richtung Österreich, in die Schweiz hinüber oder bis nach Konstanz schipperten, wo sie durch die bezollte Seeenge mussten, um einen der beiden Wasserarme passieren zu können und in den Untersee zu gelangen. Dort luden die Schiffer auf der Insel Reichenau das beliebte Obst und Gemüse ein, das dann auf den Wochenmärkten des Umlandes feilgeboten wurde. Manchmal verirrten sich die sonnenverwöhnten Früchte dieser Klosterinsel sogar bis ins Allgäu hoch, wo sie allerdings nicht immer so gut abgesetzt werden konnten, wie es die Händler aufgrund der außergewöhnlich hohen Qualität gewohnt waren. Wegen der Konstanzer Ausfuhrsteuer und des langen Weges waren sie teurer als Obst und Gemüse aus Buchhorn, Meersburg, Langenargen oder anderen Anbaugemeinden der Sonnenseite des Bodensees.
    Sehr gerne hätte sich Ulrich Dreyling von Wagrain währenddessen in einer der Hafentavernen niedergelassen und die Gelegenheit genutzt, um eines der modernen Getränke, die es hier zwar gab, in seiner Heimat aber noch nicht, zu kosten, auch wenn es – wie man allgemein sagte – ›von einem Sarazenenteufel‹ gemacht worden war, obwohl das schwarze Heißgetränk lediglich aus gebrannten Bohnen gebrüht wurde. Aber er hatte jetzt keine Zeit, um seinen Horizont diesbezüglich zu erweitern. Wenn er schnellstens nach Bregenz gelangen wollte, musste er Lindau rechter Hand liegen lassen und nach links weiterreiten, was er denn auch mit zunehmend trüben Gedanken tat.
     
    *
     
    Als der Staufner Adlige verschwitzt und verstaubt in Hörbranz ankam, hörte er schon von Weitem ein wüstes Geschrei, das er allerdings nicht gleich einordnen konnte. Auch wenn es nicht unbedingt Soldaten sein mussten, die diese Aufregung verursachten, war dem erfahrenen Mann sofort klar,

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