Der Peststurm
bieten. Obwohl sämtliche Krankenlager, die Fußböden der Flure, mittlerweile auch die Böden beider Behandlungsräume und sogar die des Gebetsraumes längst nicht mehr ausreichten, gelang es ihr irgendwie immer wieder, die Neuzugänge unterzubringen.
»Gott zum Gruße, werter Herr Blaufärber«, rief sie freundlich schmeichelnd. »Ich freue mich, Euch bei bester Gesundheit zu sehen! Bringt Ihr wieder einen Ballen Leintücher? Den können wir dringend gebrauchen.«
Als Hannß Opser auf die Schwester zugehen wollte, bremste sie ihn jedoch energisch: »Tretet um Eurer Sicherheit willen nicht ein!«
Der Blaufärber blieb unter dem Türrahmen stehen und drehte verlegen seinen Hut in der Hand, während er Bonifatia sorgenvoll anblickte.
»Was ist mit Euch?«, fragte sie.
»Mit mir ist nichts, ehrwürdige Schwester. Und ich bringe heute auch keinen Ballen Linnen, sondern nur mein Weib, von dem die Pestilenz Besitz ergriffen hat.«
»Auch das noch«, entfuhr es der Schwester ungewollt, während sie ihre Hände an der Schürze abputzte, anstatt sich zu bekreuzigen. »Wo ist die Gute?«
Sie folgte dem verhärmt wirkenden Mann in einem gewissen Sicherheitsabstand nach draußen, wo seine Frau auf einem Handkarren lag. Er hatte sie liebevoll zugedeckt, ihr den Rücken mit Stroh gepolstert und ihr auch noch einen Heusack unter den Kopf gelegt, damit sie das Rütteln während des Transportes vom Färberhaus hierher nicht so spüren sollte.
»Deckt sie bitte ab«, dirigierte Bonifatia, nachdem sie sich nach allzu neugierigen Blicken umgesehen, aber niemanden bemerkt hatte.
»Ja, wollt Ihr sie denn hier draußen untersuchen, ehrwürdige Schwester?«, fragte der Mann ungläubig, tat aber sogleich, wie ihm geheißen wurde.
»Damit habe ich bereits begonnen. Und wie es mir den Anschein hat, liegt Eure Frau zwar in der Hitze, ist aber nicht an der Pestilenz erkrankt!«
»Das habt Ihr so schnell erkannt?«, staunte der gute Mann, der noch nicht so recht wusste, ob er sich jetzt schon freuen durfte, ungläubig.
»Wenn man so viel mit Pestkranken zu tun hat wie ich, sieht man auf einen Blick, in welchem Stadium sich die Betreffenden befinden … , auch ohne, dass man sie berühren muss. Und ich sage es nochmals: Eure Frau hat bestimmt nicht die Pest! Zieht ihr das Miederhemd so weit nach oben, dass ich ihre Achselhöhlen begutachten kann.« Wieder blickte sie sich nach unerwünschten Gaffern um.
Nach eingehender Betrachtung der betreffenden Körperstellen sagte sie: »Außer der Hitze – die Gott weiß woher rühren kann und sicher in den Griff zu bekommen ist – kein einziges Anzeichen der Pest.«
»Aber … Ihr habt sie ja nicht einmal angefasst, um … «
»Ich habe sie nicht berührt, weil ich zu keiner Stunde weiß, ob ich nicht selbst den tödlichen Bazillus in mir trage und Eurer Frau anstatt Hilfe durch direkten Körperkontakt sogar selbst den Tod bringen könnte.«
Der Blaufärber war so überglücklich und dankbar, dass er auf die Knie fiel, dreimal das Kreuz schlug und die Hände faltete.
»Beten könnt Ihr später noch. Zuvor aber muss Eurer Frau geholfen werden«, unterbrach die Schwester seine kurze Andacht.
»Und wie?«
Bonifatia zeigte auf einen Baum: »Schiebt Euren Karren bis dorthin zurück und wartet im Schatten auf mich. Ich komme gleich wieder.« Sie verschwand im Inneren des Spitals, ließ aber den Blaufärber nicht lange warten und rief von der Eingangstreppe aus: »He, Färber! Fangt auf!«
Hannß Opser konnte das Rupfenbeutelchen gerade noch erwischen, öffnete es schnell und schnupperte daran. »Was ist das?«
»Rührt dieses Pulver in Wasser und verabreicht es ihr dreimal am Tag, lasst sie noch mehr schwitzen, als sie dies bisher schon tut, und lasst sie zusätzlich möglichst viel Wasser trinken. Ihr habt doch eine eigene Quelle am Haus, oder?«
Der Mann nickte.
»Dennoch kocht das Wasser zuvor ab und flößt es Eurer Frau dann im Wechsel mit dem Pulver in lauwarmem Zustand ein. Wenn sie sich daraufhin übergeben muss, lasst sie … und flößt ihr das Gleiche nochmals ein. Dies könnt Ihr etliche Male tun. So lange, bis der Magen Eurer Frau leer ist und nichts mehr kommt. Wartet dann einen Tag, bevor Ihr ihr etwas zu essen gebt. Ihr habt doch Lebensmittel?«
Der Blaufärber blickte verschämt zu Boden und schüttelte kaum sichtbar den Kopf.
»Das habe ich mir gedacht … Wartet hier!«
Die Schwester brachte einen Ranken Brot, zwei Eier und eine Handvoll Dörräpfel, sie trug
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