Der Peststurm
die Lebensmittel in einem Tuch und legte sie auf die unterste Stufe der Treppe.
»Mehr kann ich nicht für Euch tun. Holt die Speisen erst, wenn ich wieder im Haus bin und die Tür hinter mir geschlossen habe. Geht dann nach Hause … Und noch etwas: Versteckt das Essen unter der Decke Eurer Frau und seht zu, dass Ihr ohne Umwege so schnell wie möglich ins Färberhaus zurückkommt und sich Euch niemand auf mehr als zehn Schritte nähert. Um dies zu gewährleisten, sagt einfach, Eure Frau hat die Pestilenz. Das hilft todsicher!« Nachdem ihr dies in der Form herausgerutscht war, musste sie fast ein klein wenig schmunzeln.
Als von innen markerschütternde Schreie nach außen drangen, verging der barmherzigen Schwester das Lachen so schnell, wie es ihr über den Mund gehuscht war, und sie verabschiedete sich hastig: »Ich muss jetzt wieder zu meinen Patienten. Gott helfe Euch! … Und nochmals Dank für den Leinenballen, den Ihr uns vor einiger Zeit überlassen habt. Wie gesagt: Wir könnten noch mehr davon gebrauchen, … auch wenn sie verschlissen sind«, fügte sie ihrem Gruß noch schnell an, bevor sie wieder im Reich der morituri verschwand.
Dass ihr der dankbare Blaufärber noch nachrief, ihr so viele Leintücher zu bringen, wie sie benötigen würde, hörte die Schwester nicht mehr.
*
Zur gleichen Zeit tat Konstanze Dreyling von Wagrain, was der Blaufärberin noch bevorstand: sie schmorte in ihrem eigenen Saft. Judith hatte ihr mit Sarahs Hilfe nasskalte Laken um den nackten Leib gewickelt, die alle vier Stunden gewechselt werden mussten. Sie deckte Konstanze mit einer dicken Schafwolldecke zu und stopfte diese seitlich unter den Körper, bevor sie eine zusätzliche Decke darüberlegte und das Ganze auch noch mit drei Bändern verschnürte. Durch diese Schwitzpackung sollten Konstanzes Selbstheilungskräfte geweckt und eine künstliche Hitze erzeugt werden, die hoffentlich sämtliche krankmachenden Körpersäfte ausschwemmen würde. Mit der flachen Hand an Konstanzes Stirn prüfte Judith, ob ihre Freundin schon zum Schwitzen gekommen war. Damit die Kranke ruhig blieb und sich dem erholsamen Schlaf ergeben konnte, hatte ihr Judith vor dem Einwickeln einen heißen Sud aus zerhackter Baldrianwurzel und getrocknetem Hopfen verabreicht, den sie schon vor längerer Zeit von einem reisenden Markthändler aus der Hallertau erstanden hatte. Von Eginhard wusste sie, dass die Wirkung von Baldrian schnell einsetzt, die beruhigende Wirkung von Hopfen jedoch länger anhält. Auf diese Art, so hoffte sie, würde Konstanze den Verlust ihres jüngsten Sohnes wenigstens im Schlaf vergessen und endlich wieder gesunden. »Wenn sie doch mehr Lebenswillen hätte und nicht so verzweifelt wäre«, flüsterte Judith ihrer Tochter Sarah zu. Sie war zwar guter Hoffnung, die Kranke heilen zu können, wusste aber, dass sie es nicht vermochte, ihrer Freundin die Schwermut zu nehmen. Vielleicht täte ihr ein warmes Bier gut, überlegte die treusorgende Jüdin. Da wegen der kurzen Haltbarkeit aber keines im Haus war, erübrigten sich weitere diesbezügliche Gedanken. Vielleicht etwas warmen Wein?, überlegte sie weiter.
Aber nicht nur Konstanze stand unter dem Trauma, einen geliebten Menschen verloren zu haben. Auch den nicht zur Familie gehörenden Schlossbewohnern steckte das schreckliche Ereignis so fest in den Köpfen, als wenn es ihnen mit einem Schmiedehammer reingehauen und dann unter noch größeren Schmerzen eingemeißelt worden wäre.
Die beiden Schlosswachen fühlten sich ebenso mies wie Ignaz, den es ganz besonders getroffen hatte, weil er Diederichs schreckliches Unglück als Erster mitbekommen hatte. Der Magd ging es sogar noch schlechter als allen anderen. Aber sie war nicht allein. Ignaz, Siegbert und Rudolph kümmerten sich jetzt ganz besonders fürsorglich um sie und gaben ihr das Gefühl, nicht von allen verstoßen worden zu sein und jemanden um sich zu haben.
»Die Herrin wird sich schon wieder beruhigen. Außerdem ist es bis zur Lichtmess noch lange hin«, tröstete Ignaz sie und halste ihr so viel Arbeit auf, dass sie kaum Zeit zum Trübsalblasen hatte.
Da die Stimmung im Schloss trotz des Neugeborenen bedrückend war, hofften alle inständig, der Kastellan würde schnell wieder zurückkommen und vielleicht sogar Eginhard mitbringen. Bis auf Judith, die nicht länger als ein paar Minuten vom Krankenlager ihrer Freundin wich, trafen sich alle – zwar abwechselnd, aber in regelmäßigen Abständen –
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