Der Peststurm
zum gemeinsamen Gebet in der Schlosskapelle. Auch wenn man sie ursprünglich zu einem anderen Glauben erzogen hatte, war es für die konvertierte Jüdin Sarah selbstverständlich, ihren geliebten Lodewig in die hauseigene Kapelle zu begleiten, um mit ihm für Diederichs Seelenheil und für die Genesung ihrer Schwiegermutter zu beten. Und was sie still vor sich hinbetete, würde sicherlich egal sein – Hauptsache, sie betete. Sarah würde alles für ihren Geliebten tun und auch alles mit ihm teilen, wenn es ihm nur gut ging – denn nur das zählte für sie. Wie sie jetzt das grenzenlos erscheinende Leid mit ihm teilte, hatte sie auch schon die allerschönste Seite des Lebens mit ihm kosten dürfen und konnte jetzt sogar die Frucht ihrer gemeinsamen Liebe genießen. Wie sehr sehnte sie sich danach, ihn bald wieder liebkosen zu dürfen, um ihm die trüben Gedanken zu vertreiben. Wie gerne würde sie sich ihm wieder hingeben, obwohl ihr eigentlich noch nicht danach war, weil sie erst kürzlich ihr Kind geboren hatte. Dennoch konnte sie es irgendwie kaum erwarten, ihm auch auf diese Weise zu zeigen, wie innig sie ihn liebte. Sie sehnte sich nach seinen zärtlichen Berührungen und dachte oft an die wunderschönen Stunden in dem kleinen Heustadel zurück, der für sie ein Stück heimeliger Geborgenheit bedeutet hatte und immer noch ein wenig war. Aber Sarah war besonnen genug, um jetzt nichts von Lodewig einzufordern und auf ihre eigene Gesundheit zu achten.
Es ging im Augenblick nicht um sie, sondern um ihn. Nur um ihn. Er musste selbst spüren, wann sich die größte Trauer aus seinem Geist zurückziehen würde, damit die Gefühle ihr gegenüber wieder in den Vordergrund treten konnten. Auch ihr gemeinsames Kind hatte ein Anrecht auf die Zuneigung seines Vaters. Sarah wusste sehr wohl, dass die Trauer niemals aus Lodewigs Herz weichen und fest darin verankert bleiben würde. Diederich würde für immer und ewig seinen festen Platz darin haben, … im Leben wie im Tode. Dass er sich seit dem tragischen Unfall seines Bruders auch ihr gegenüber anders verhielt, verstand sie. Nur allzu gerne rückte sie mit ihrem Kind etwas zur Seite, damit Diederich genügend Platz in Lodewigs Herzen hatte. Er sollte auch für seine Eltern und für Eginhard genügend Raum darin bereitstellen.
Hauptsache, er ließ noch eine winzig kleine Ecke für sie und den Kleinen übrig. Sarah war glücklich, wenn Lodewig glücklich war, und litt mit ihm, wenn es ihm schlecht ging. Und da er sich jetzt überhaupt nicht gut fühlte, würde sie sich gedulden, bis er wieder so weit sein würde, ihre brennende Liebe zu empfangen. Sarah wusste, dass dies noch eine Zeit lang dauern würde und bedeckte mit ihrer Rechten seine zum Gebet gefalteten Hände, während er, in Gedanken versunken, die wunderschön geschnitzte und bemalte Altarmadonna betrachtete.
Erst nach einer Stunde verließen sie die Schlosskapelle, um ins Vogteigebäude zurückzukehren. Dort war Judith gerade wieder damit beschäftigt, Konstanze den Schweiß von der Stirn zu tupfen, während sie ihr Enkelkind im Arm wiegte.
Als Sarah bei der Essensvorbereitung ein paar harte Brotkanten in die Linsensuppe mischte, wandte Lodewig seinen Blick keine Sekunde von ihr.
»Ist etwas nicht in Ordnung?«, fragte sie ihn verunsichert.
»Das frage ich dich, mein Schatz«, konterte er sanft lächelnd. »Du hast doch irgendwas?«
Da Sarah Lodewig nicht mit ihren eigenen Problemen belasten wollte und sie es ihrem Vater zudem hatte versprechen müssen, niemandem davon zu erzählen, war sie auch nicht darauf vorbereitet und wusste nicht so recht, wie sie beginnen sollte. Nachdem sie sich ein Weilchen gewunden und erfolglos versucht hatte, das Thema doch noch abzuwenden, kam sie jetzt nicht mehr daran vorbei.
»Also gut, mein Geliebter. Ich erzähle dir jetzt etwas, wenn du mir versprichst, ruhig zu bleiben und meinem Vater nicht zu sagen, dass du es jetzt weißt.«
Lodewig war zwar irritiert, stand aber auf und gab seiner innig geliebten Sarah einen Hauch von Kuss, während er sie sanft an sich drückte. »Nun erzähl schon. So schlimm wird’s nicht werden, dass ich vor Wut mit den Füßen auf den Boden stampfe. Und wenn es dein Wunsch ist, erzähle ich deinem Vater nichts davon, versprochen.«
Sarah druckste noch ein Weilchen um das Thema herum, bevor sie zum eigentlichen Kern kam: »… und dann hat der Schuhmacher Hemmo Grob Steine gegen unsere Hauswand geworfen und dabei wie wild geschrien. Es
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