Der Pfad der Winde - Sanderson, B: Pfad der Winde - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1 (Part 2)
Das Podest war leer. Was geschieht da mit mir?, dachte sie mit wachsendem Entsetzen. Als der Aufzug den Boden berührte, huschte sie sofort mit flatterndem Rock davon. Sie rannte bis zum Ausgang des Schleiers, zögerte kurz bei der Tür und beachtete weder die Diener noch die Feuerer, die sie mit verwirrten Blicken bedachten.
Wohin jetzt? Schweiß tropfte ihr am Gesicht herunter. Wohin sollte man bloß rennen, wenn man gerade verrückt wurde?
Sie eilte tief in den Hauptraum und in die Menschenmenge hinein, die sich dort befand. Es war später Nachmittag, und bis zum Abendessen würde es nicht mehr lange dauern. Diener schoben Wagen mit Speisen vor sich her, Hellaugen
schlenderten zu ihren Zimmern, Gelehrte gingen mit hinter dem Rücken gefalteten Händen umher. Schallan bahnte sich einen Weg durch die Menge. Ihr Haar löste sich aus dem Knoten, ihre Haarnadel fiel mit einem hohen Klimpern auf den Felsboden hinter ihr. Ihr loses rotes Haar flog nun hinter ihr her. Keuchend und mit wehenden Haaren erreichte sie den Korridor, der zu ihren Gemächern führte, und warf einen raschen Blick über die Schulter zurück. Sie hatte eine Spur aus verblüfften Menschen hinterlassen, die ihr nachsahen.
Fast gegen ihren Willen blinzelte sie und hielt dieses Bild in ihrer Erinnerung fest. Wieder hob sie den Zeichenblock, ergriff den Kohlestift mit feuchten Fingern und zeichnete ganz schnell die belebte Halle. Es waren nur schwache Umrisse, Männer als gerade Linien, Frauen als gekrümmte, Mauern aus zurückweichendem Fels, Teppiche auf dem Boden, Licht aus Kugellaternen an den Wänden.
Und fünf Gestalten in Schwarz – mit Symbolen als Köpfen — und in allzu steifen Roben und Umhängen. Jedes Symbol war anders, verdreht, ganz unvertraut, über einem halslosen Rumpf schwebend. Unsichtbar bahnten sich die Kreaturen einen Weg durch die Menge. Wie Raubtiere. Sie waren ganz auf Schallan konzentriert.
Das bilde ich mir nur ein, sagte sie zu sich selbst. Ich bin überfordert, zu vieles drückt mich nieder. Waren sie in Wahrheit nichts anderes als Verkörperungen ihrer Schuldgefühle? War es die Anspannung, die sich daraus ergab, dass sie Jasnah hintergangen und Kabsal angelogen hatte? Oder waren es die Dinge, die sie vor ihrer Abreise aus Jah Keved getan hatte?
Sie versuchte stehenzubleiben und zu warten, aber ihre Finger bewegten sich weiter. Sie blinzelte noch einmal und begann mit einem neuen Bild. Sie beendete es mit zitternder Hand. Die Gestalten hatten sie beinahe erreicht; ihre schrecklichen,
kantigen Nicht-Köpfe hingen dort, wo sich eigentlich ihre Gesichter hätten befinden sollen.
Schallans Logik sagte ihr, dass sie übertrieb, aber dann konnte sie das, was sie sich einzureden versuchte, gar nicht glauben. Diese Kreaturen waren doch da, sie waren wirklich da . Und sie kamen auf Schallan zu.
Sie klemmte sich den Skizzenblock unter den Arm, schoss davon und überraschte einige Diener, die sich ihr genähert hatten, um ihr Hilfe anzubieten. Sie rannte über die Teppiche des Korridors und erreichte endlich die Tür zu Jasnahs Gemächern. Mit zitternden Fingern schloss sie die Tür auf, huschte hindurch und warf sie hinter sich zu. Sie verriegelte sie wieder und rannte zu ihrem eigenen Zimmer. Auch dort sperrte sie die Tür zu und wich von ihr zurück. Das einzige Licht im Raum kam von dem großen Kristallkelch auf ihrem Nachtschränkchen, in dem drei Diamantmark lagen.
Sie stieg aufs Bett und hielt sich so weit wie möglich von der Tür entfernt. Dann drückte sie sich gegen die Wand und atmete schnell und keuchend durch die Nase. Noch immer klemmte der Skizzenblock unter ihrem Arm, aber den Kohlestift hatte sie verloren. Doch es lagen noch einige davon in ihrem Nachtschränkchen.
Tu das nicht, dachte sie. Setz dich hin und beruhige dich.
Sie verspürte eine immer größere Kälte und zunehmendes Entsetzen. Sie musste es wissen. Sie kroch vor, nahm einen Stift heraus, blinzelte und zeichnete ihr Zimmer.
Zuerst die Decke. Vier gerade Linien. Dann die Wände. Linien in den Ecken. Ihre Finger huschten über das Papier, zeichneten auch den Skizzenblock, den sie vor sich hielt, sowie die verdeckte Schutzhand, die den Block von hinten stützte. Weiter. Die Wesen, die um sie herum standen. Verzerrte Symbole, nicht mit den krummen Schultern verbunden. Diese Nicht-Köpfe hatten unmögliche Winkel und Oberflächen, die sich auf eine unheimliche, unwahrscheinliche Weise bogen.
Die Gestalt ganz vorn griff mit allzu glatten
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