Der Pfad der Winde - Sanderson, B: Pfad der Winde - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1 (Part 2)
bisherigen Fluchtversuche, und die sind ausnahmslos gescheitert. Ich frage mich, ob ich auf eine weitere Katastrophe zusteuere.«
»Diesmal wird es anders sein, Kaladin«, sagte Syl. »Das spüre ich.«
»Das klingt so, wie Tien es gesagt hätte. Sein Tod beweist, dass Worte gar nichts ändern, Syl. Und bevor du fragst: Nein, ich versinke nicht schon wieder in Verzweiflung. Aber ich darf auch nicht außer Acht lassen, was bisher geschehen ist. Mit Tien hat alles angefangen. Seit jener Zeit sind alle Menschen, die ich beschützen wollte, gestorben. Jedes Mal. Allmählich frage ich mich, ob mich der Allmächtige hasst.«
Sie runzelte die Stirn. »Ich glaube, dass du ein Narr bist. Außerdem hasst er eher diejenigen, die gestorben sind. Aber du hast überlebt.«
»Ich vermute, dass meine Sicht der Dinge sehr stark auf mich selbst bezogen ist. Aber ich überlebe jedes Mal, auch wenn sonst fast niemand sonst dieses Glück hat. Es ist immer wieder so. So war es bei meiner alten Speerwerfer-Einheit, bei der ersten Brückenmannschaft, mit der ich gelaufen bin, und bei vielen Sklaven, denen ich auf der Flucht helfen wollte. Es scheint ein Muster dahinterzustecken. Es wird immer schwerer, das zu übersehen.«
»Vielleicht beschützt dich der Allmächtige«, sagte Syl.
Kaladin blieb auf der Straße stehen. Ein Soldat, der hinter ihm ging, fluchte und schob ihn aus dem Weg. An diesem ganzen Gespräch stimmte etwas nicht. Kaladin ging zu der Regentonne
hinüber, die zwischen zwei aus Stein erbauten Geschäften stand.
»Syl«, sagte er, »du hast gerade den Allmächtigen erwähnt.«
»Du hast ihn zuerst genannt.«
»Lass das einmal beiseite. Glaubst du an den Allmächtigen? Weißt du, ob er wirklich existiert?«
Syl hielt den Kopf schräg. »Ich habe keine Ahnung. Es gibt so vieles, wovon ich keine Ahnung habe. Aber darüber sollte ich etwas wissen, glaube ich. Oder nicht?« Sie schien sehr verwirrt zu sein.
»Ich weiß nicht, ob ich wirklich an ihn glaube«, sagte Kaladin und warf einen Blick auf die Straße. »Meine Mutter war gläubig, und mein Vater hat immer mit großer Hochachtung von den Herolden gesprochen. Er war wohl auch gläubig, aber vielleicht nur aus Tradition, weil es heißt, dass die Heilkunst von den Herolden abstammt. Die Feuerer beachten uns Brückenmänner nicht. Sie haben die Soldaten besucht, als ich in Amarams Armee war, aber auf unserem Holzplatz habe ich noch keinen Einzigen von ihnen gesehen. Bisher habe ich auch nicht viel darüber nachgedacht. Der Glaube scheint den Soldaten nie geholfen zu haben.«
»Wenn du nicht glaubst, gibt es keinen Grund zu der Annahme, der Allmächtige könne dich hassen.«
»Es sei denn«, wandte Kaladin ein, »da ist etwas anderes, falls es keinen Allmächtigen gibt. Ich weiß es nicht. Viele Soldaten, die ich gekannt habe, waren abergläubisch. Sie haben über Dinge wie die Alte Magie oder die Nachtschauerin gesprochen, die den Menschen angeblich Pech bringen. Ich habe sie ausgelacht. Aber wie lange darf ich diese Möglichkeit noch unbeachtet lassen? Was ist, wenn meine ganzen Fehlschläge auf so etwas zurückzuführen sind?«
Syl wirkte beunruhigt. Die Kappe und der Umhang, den sie trug, lösten sich in Nebel auf, und dann schlang sie die Arme um sich, als würde ihr von seinen Bemerkungen kalt.
Odium herrscht …
»Syl«, sagte er, dachte an seinen seltsamen Traum und runzelte die Stirn. »Hast du je von etwas gehört, das Odium heißt? Ich meine damit eine Person oder etwas, das so genannt wird.«
Syl zischte plötzlich. Es war ein wildes, verwirrendes Geräusch. Sie flog von seiner Schulter hoch und schoss unter die Traufe des nächsten Hauses.
Er blinzelte erstaunt. »Syl?«, rief er und zog damit die Aufmerksamkeit einiger vorbeikommender Wäscherinnen auf sich. Das Sprengsel kam nicht zurück. Kaladin verschränkte die Arme vor der Brust. Ein einziges Wort hatte sie verscheucht. Warum nur?
Eine Reihe lauter Flüche unterbrach seine Gedanken. Kaladin wirbelte herum, als ein Mann auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus einem hübschen Gebäude stürmte und eine halbnackte Frau vor sich hertrieb. Der Mann hatte hellblaue Augen, und sein grüner Umhang, den er über dem Arm trug, wies rote Knoten an den Schultern auf. Er war ein helläugiger Offizier von nicht sonderlich hohem Rang, vielleicht aus dem siebten Dahn.
Die halb bekleidete Frau fiel zu Boden. Sie hielt das lose Ende ihres Kleides gegen ihre Brust gepresst und weinte. Ihre langen
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