Der Pfad der Winde - Sanderson, B: Pfad der Winde - The Way of Kings - The Stormlight Archive, Book 1 (Part 2)
ist nicht ausgebildet, schlecht ausgerüstet und dazu noch zu klein, um einen guten Frontsoldaten abzugeben. Schick ihn zu mir.«
Kaladin drehte sich um und ging davon. Schon nach wenigen Sekunden hörte er ein Klimpern, als Gare den Beutel aufhob. »Du kannst es ja mal mit ihm versuchen.«
Kaladin ging weiter.
»Was bedeuten dir diese Rekruten eigentlich?«, rief Gare hinter Kaladin her. »Deine Einheit besteht zur Hälfte aus Männern, die zum Kämpfen zu klein sind! Man könnte ja fast glauben, du legtest es darauf an, dass sie umkommen!«
Kaladin beachtete ihn nicht. Er ging durch das Lager und winkte jenen zu, die auch ihm zuwinkten. Die meisten gingen ihm aus dem Weg, entweder weil sie ihn respektierten oder weil sie von seinem Ruf gehört hatten. Er war der jüngste Gruppenführer in der ganzen Armee, hatte erst vier Jahre Erfahrung und schon ein Kommando. Um noch höher aufzusteigen, musste ein Dunkeläugiger auf die Zerbrochene Ebene reisen.
Im Lager herrschten Aufruhr und Chaos, denn die Männer trafen in letzter Minute noch zahlreiche Vorbereitungen. Immer mehr Kompanien versammelten sich an der Frontlinie, und Kaladin sah, wie sich der Feind auf dem flachen Grat jenseits des Feldes im Westen aufstellte.
Der Feind. So wurden die anderen genannt. Aber wann immer es einen richtigen Grenzstreit mit den Veden oder den Reschi gab, würden sich die Männer da drüben zu Amarams Truppen gesellen und gemeinsam mit ihnen kämpfen. Es war, als ob die Nachtschauerin ein verbotenes Glücksspiel mit ihnen trieb und die Männer auf ihrem Spielbrett gelegentlich als Verbündete aufstellte, um sie am nächsten Tag aufeinander loszuhetzen, damit sie sich gegenseitig umbrachten.
Darüber sollten die Speermänner nicht nachdenken. Das hatte man ihm gesagt. Immer wieder. Er sollte gehorchen, denn seine Pflicht bestand darin, seine Einheit am Leben zu erhalten. Der Sieg war dabei zweitrangig.
Du kannst nicht töten, um zu schützen …
Das Feldlazarett hatte er rasch gefunden; er roch die Desinfektionsmittel und die kleinen Feuer. Diese Gerüche erinnerten ihn an seine Jugend, die nun so unendlich weit entfernt schien. Hatte er denn wirklich einmal vorgehabt, Arzt zu werden? Was war aus seinen Eltern geworden? Und was aus Roschone?
Das war jetzt ohne Bedeutung. Er hatte ihnen durch Amarams Schreiberinnen eine knappe Botschaft zukommen lassen, die ihn einen ganzen Wochenlohn gekostet hatte. Sie wussten, dass er versagt hatte, und sie wussten auch, dass er nicht beabsichtigte zurückzukehren. Er hatte keine Antwort erhalten.
Ven war der Oberste der Ärzte: ein großer Mann mit einer Knollennase und einem langen Gesicht. Wachsam stand er da und sah zu, wie seine Lehrlinge Bandagen zusammenfalteten. Kaladin hatte einmal darüber nachgedacht, sich verwunden zu lassen, nur damit er zu ihnen kommen konnte. Alle Lehrlinge litten unter der einen oder anderen Behinderung, die ihnen das Kämpfen unmöglich machte. Aber Kaladin war dazu nicht in der Lage gewesen. Es schien ihm feige zu sein, sich absichtlich verwunden zu lassen. Außerdem gehörte das Heilen zu seinem alten Leben. In gewisser Weise verdiente er es also gar nicht mehr.
Kaladin zog einen weiteren Beutel mit Kugeln aus seinem Gürtel und wollte ihn Ven zuwerfen. Doch der Beutel hing fest und weigerte sich, vom Gürtel loszukommen. Kaladin fluchte, stolperte und zog dabei an dem Beutel. Plötzlich löste er sich, und Kaladin verlor das Gleichgewicht. Eine durchscheinende, weiße Gestalt huschte fort und drehte sich sorglos in der Luft.
»Sturmverfluchte Windsprengsel«, sagte er. Sie waren in dieser felsigen Ebene häufig anzutreffen.
Er fing sich wieder, ging an dem Lazarettzelt vorbei und warf den Beutel mit den Kugeln Ven zu. Der große Mann fing
ihn geschickt auf und ließ ihn in einer Tasche seiner üppigen weißen Robe verschwinden. Dieses Bestechungsgeld würde dafür sorgen, dass Kaladins Männer die Ersten waren, die auf dem Schlachtfeld behandelt wurden, vorausgesetzt es gab keine Hellaugen, die medizinische Hilfe benötigten.
Es war Zeit, sich zur Schlachtformation zu begeben. Er beschleunigte seine Schritte, lief mit dem Speer in der Hand. Niemand verhöhnte ihn wegen der Hose, die er unter der Lederrüstung trug, damit seine Männer ihn auch von hinten erkannten. In letzter Zeit war er keinem Spott mehr ausgesetzt. Nach den vielen Anfeindungen in den ersten Jahren seiner Armeezeit fand er das merkwürdig.
Er fühlte sich noch immer so, als
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