Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
eigentlich stellen wollt, Grenouille.«
Laerte sah, wie der Herzog dem Nâaga kurz über die Schulter strich, seine Maske nahm und sich dem roten Vorhang zuwandte. Nebenan hatte das Fest seinen Höhepunkt erreicht, aber der Lärm war nichts im Vergleich zu dem Tumult, der sich in den Gedanken des jungen Mannes abspielte.
Er kannte Rogant gut genug, um sich ihm zumindest teilweise zu öffnen. Und im Gegenzug war auch Rogant ihm gegenüber immer ehrlich gewesen. Laerte war darüber informiert, dass der Nâaga eine innige Hoffnung hegte. Rogant hatte ihm nie verhehlt, dass er im Sturz des Kaiserreich die einzige Möglichkeit für sein Volk sah, die Freiheit zurückzuerlangen.
Und weil Laerte seinem Freund voll und ganz vertraute, ging er davon aus, dass er die unterschwelligen Andeutungen des Herzogs richtig verstanden hatte. Als wollte er diese Annahme bestätigen, sagte De Page, ohne sich noch einmal umzudrehen: »Die eigentliche Frage lautet: Habt Ihr den Mann hinter der Maske erkannt? Oder seht Ihr nur die Maske? Entscheidet Euch für das, was Euch am Vernünftigsten erscheint. Und zwar sowohl, was meine Person angeht, als auch hinsichtlich der Pläne und ihrer Bestimmung.«
Er setzte die Maske wieder auf und schob den Vorhang auseinander.
Laerte richtete sich auf. Gern hätte er den Herzog mit Fragen bestürmt. Die Vorstellung, einen mächtigen Verbündeten zu haben, überwältigte ihn. Rohre? Kanonen? Mächtiger und zerstörerischer als Katapulte? Die Aufständischen könnten Aladzios Werk vollenden und auf diese Weise Emeris einnehmen.
De Page drehte sich noch einmal um. »Ach, noch etwas«, sagte er mit ernster Stimme. »Ich habe gehört, dass Ihr Kontakte zu gewissen Leuten aus den Salinen pflegt. Einer der Flüchtlinge wurde wegen Verrat zum Tode verurteilt und heute Morgen gehenkt. Da Ihr dem Kaiser dient, werdet Ihr ihn kaum kennen. Er war Schmied in Guet d’Aëd. Der Verräter hätte an seine Tochter denken sollen, die jetzt Waise ist. Ich hoffe nur, dass sie eine starke Schulter zum Anlehnen findet. Sie braucht jetzt Trost …«
Mit diesen Worten durchschritt er den Vorhang.
Laerte hatte das Gefühl, dass seine Beine unter ihm nachgaben. Seit er am Vorabend zurückgekehrt war, hatte er noch keine Zeit gefunden, Esyld zu sehen. Und nun erfuhr er aus dem Mund eines völlig Unbekannten vom Tod ihres Vaters. Er konnte sich nicht erinnern, Meister Orbey je im Palast getroffen zu haben. Dazu waren seine Aufenthalte in Emeris wohl zu kurz gewesen. Zum letzten Mal gesehen hatte er den Schmied in den Salinen. Unmittelbar vor seiner Flucht. Unmittelbar bevor er Dun-Cadal Daermon kennenlernte. Unmittelbar ehe sich sein Leben grundlegend veränderte.
Esyld hatte oft von ihrem Vater gesprochen und Laerte zu erklären versucht, welch gefährliche Rolle er in der Hauptstadt spielte. Während der vielen Jahre, in denen Laerte von einem Schlachtfeld zum anderen unterwegs war, hatte Orbey im Untergrund gearbeitet und den Widerstand der Flüchtlinge aus den Salinen organisiert. Eines Tages wandte sich der dem Kaiser feindlich gesinnte Adel an ihn, und er hatte die Leute in seine Arbeit eingebunden. Er selbst blieb dabei im Schatten. Einer der Adligen, die mit den Aufständischen gemeinsame Sache machten, war der Herzog …
»Der Krieg ist bald vorüber, Grenouille«, sagte Rogant und warf dem Freund einen eindringlichen Blick zu. »Vertrau mir auch weiterhin. De Page sagt den Leuten gegenüber das, was notwendig ist, aber uns gegenüber ist er ehrlich. Der Erfinder, den du gerettet hast, wird die Soldaten an der Akademie im Gebrauch seiner Kanone unterweisen, sofern er irgendwann einmal eine baut, die auch funktioniert. Sprich mit ihm. Das rate ich dir als Freund.«
Schweigend blickten sie sich lange an. Schließlich senkte Rogant den Kopf und drehte sich um.
»Es tut mir wirklich leid für sie«, sagte er leise, ehe er hinausging. »Sie braucht dich jetzt.«
Als Laerte allein war, konnte er nur mit Mühe die Tränen zurückhalten. Mit verschleiertem Blick betrachtete er die auf dem Sofa ausgebreiteten Pläne, rollte sie zusammen und nahm sie an sich.
Zurück im Palast machte er sich so unsichtbar wie möglich. Er drückte sich an den Wänden entlang, schlich um Marmorsäulen und wich indiskreten Blicken aus. Er hatte es eilig, die Dienstbotenquartiere aufzusuchen. Endlich erreichte er die vertraute kleine Tür.
Esyld kauerte vor ihrem Bett. Ihre Locken fielen ihr ins Ge sicht. Sie weinte stumm. Als sich
Weitere Kostenlose Bücher