Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
überhaupt nicht mehr betrunken. Auch seine Stimme klang jetzt klar und überlegt.
»Als Kinder erkennen wir das nicht. Wir nehmen entweder alles hin oder werden gut behütet. Aber eines Tages erkennen wir die Welt und ihre Ungerechtigkeit. In diesem Augenblick bemächtigt sich der Drache unseres Seins. Irgendwann aber kommt der Moment, wo wir ihm gegenübertreten, damit er uns nicht vollends unterjocht. Ehe wir Gefangene unserer Wut werden, ziehen wir es vor …«
Laerte zögerte eine Sekunde, ehe er die Schale annahm. De Page hob ihm sein Glas entgegen.
»… den Drachen zu bezwingen«, fuhr er fort, ehe er seine Lippen mit dem Likör benetzte.
Schweigend beobachtete Rogant die beiden Männer. Auch als Laerte ihm einen fragenden Blick zuwarf, reagierte er nicht.
»Setzt Euch doch bitte«, forderte der Herzog Laerte auf.
Sein Gast jedoch bewegte sich nicht von der Stelle, sondern begnügte sich damit, De Page zu beobachten.
De Page ließ sich in einem Sessel neben dem Kamin nieder, schlug die Beine übereinander und stellte sein Glas auf der Armlehne ab. »Bitte, Grenouille, setzt Euch«, wiederholte er.
Laerte jedoch wandte sich ab. Das Spielchen gefiel ihm nicht. Natürlich war er neugierig, fürchtete jedoch, zum Besten gehalten zu werden. Sein Gastgeber war von offensichtlicher Trunkenheit zu ausgesuchter Höflichkeit übergegangen, wie ein Schauspieler, der sein Talent unter Beweis stellen wollte.
»Gibt es noch etwas zu sagen?«, fragte er Rogant.
»Immer mit der Ruhe, Grenouille«, entgegnete sein Freund nur.
»Ich habe meine Maske abgelegt,«, erklärte De Page und zeigte auf den kleinen Tisch, »weil ich wollte, dass Ihr mir vertraut. Offenheit ist sehr wichtig für unsere Unterredung. Eine Unterredung, die im Übrigen ganz formlos ablaufen darf. Deswegen bitte ich Euch nochmals …« Er streckte die Hand zu dem roten Sofa aus. »Nehmt Platz und lasst uns reden.«
Rogant gab sich feierlich, der Herzog freundlich, und Laerte zögerlich. Er warf einen Blick auf das Sofa, wusste aber noch immer nicht, wie er sich entscheiden sollte.
»Worum geht es überhaupt?«
»Um uns«, sagte De Page und blickte ihm gerade in die Augen.
Schließlich setzte sich Laerte. Seine Neugier verbarg er unter einer unzugänglichen Miene. »Soweit ich informiert bin, Herr, und bei allem schuldigen Respekt glaube ich kaum, dass Ihr und ich etwas gemeinsam haben.«
Der Herzog nickte und betrachtete sein Glas. Nebenan jubelte eine Frau laut auf, ehe ihr Lachen von einer begeisterten Klatschsalve übertönt wurde.
»Mag sein«, gab De Page zu. »Möglicherweise sind wir aber auch beide in einer Welt gestrandet, die uns nicht gewogen ist, und haben uns lediglich ein gewisses Auftreten zugelegt, um uns den Leuten wenigstens ansatzweise angemessen dazustellen.«
Laertes Hände auf den Oberschenkeln spannten sich unwillkürlich an. Die Vorstellung, er könne erkannt worden sein, war ihm noch nie in den völlig von seinem Plan beherrschten Sinn gekommen. Er bemühte sich, seine Angst zu bezwingen, und senkte den Kopf. De Page fuhr fort, als hätte er nichts bemerkt.
»Ich kann mir vorstellen, wie schwierig es ist, keine Schuldgefühle aufkommen zu lassen, wenn man seine eigenen Leute bekämpfen muss«, sagte er und drehte den Stiel seines Glases zwischen Daumen und Zeigefinger.
»Erscheint Euch meine Ergebenheit gegenüber dem Kaiser etwa fragwürdig?«, erkundigte sich Laerte mit tonloser Stimme.
De Page wartete einen Moment, ehe er erwiderte: »Nicht fragwürdiger als meine.«
Sie musterten sich wortlos. Nebenan spielten Geigen zum Tanz auf. Die Gäste lachten laut und klatschten in die Hände. De Page warf einen Blick auf die verschlossene Tür.
»Und auch nicht fragwürdiger als die der Leute da draußen. Sie geben sich der körperlichen Liebe hin, trinken und tragen ihre schönsten Kleider, während sie auf seinen Sturz warten. Aber sie maskieren sich, damit man sie nicht erkennt und nicht als lasterhaft bezeichnet. Obwohl es eigentlich keine Rolle spielt. Der Lasterhafte, der sich gegen die menschliche Natur stellt – das bin ich. So war es immer, und es wird auch so bleiben. Mein Vater hat es mir oft genug wiederholt. Habt Ihr ihn damals in den Salinen kennengelernt?«
»Mein Beileid«, wich Laerte aus.
De Page tat, als tränke er einen Schluck und setzte sein Glas wieder auf der Armlehne ab.
»Eine höfliche Floskel. Hättet Ihr ihn gekannt, würdet Ihr nie von Aufrichtigkeit sprechen. Er war ein Schwein.
Weitere Kostenlose Bücher