Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
Laerte vor sie hinkniete und sie in die Arme nahm, entfuhr ihr ein kleiner Schluchzer.
Lange hielten sie sich umschlungen. Sie sprachen nicht und schauten einander nicht einmal an. Als sich Esyld einigermaßen beruhigt hatte, erzählte sie von der Verhaftung ihres Vaters und davon, wie sie beinahe ebenfalls gehenkt worden wäre. Sie verdankte ihre Rettung einem Edelmann, dessen Namen sie nicht nannte. Er behauptete, sie stünde in seinen Diensten und dass er sie nicht entbehren könne. Laerte fragte nicht weiter. Er ahnte, um wen es sich handelte, und war sicher, eben erst mit diesem Mann gesprochen zu haben.
Nachdem Esyld mit zitternder Stimme vom Tod ihres Vaters berichtet hatte, blieb Laerte lange stumm.
»Er ist nicht umsonst gestorben, Esyld«, murmelte er schließlich.
Er rollte die Pergamente auseinander und kniete sich davor.
»Was ist das?«
»Damit zwingen wir das Kaiserreich in die Knie«, sagte er leise. »Wir müssen diese Pläne so schnell wie möglich Meurnau zukommen lassen.«
Durch ihren Vater kannte Esyld die Kuriere, die den Informationsaustausch zwischen den Aufständischen und den Flüchtlingen in Emeris sicherstellten. Schon bald verließen die Pergamente die Hauptstadt Emeris und wurden von Hand zu Hand ins nächstgelegene Biwak der Widerstandsbewegung weitergereicht.
Ohne dass Laerte den Grund dafür erfuhr, redete Esyld während des folgenden Monats kaum noch mit ihm. Sie wich ihm aus. Es fiel ihm nicht leicht zu akzeptieren, dass ihn in ihren Augen eine Mitschuld am Tod ihres Vaters traf. Orbey lebte nicht mehr, während er seit Jahren gegen die eigenen Leute kämpfte. Noch schlimmer war, dass er nicht zu seiner wahren Identität stand und sich von Anfang an geweigert hatte, zu Meurnau und dessen Truppen zu stoßen. Dass Esyld seine Wahl nicht guthieß, verletzte ihn. Seine Einsicht und die Schuldgefühle änderten jedoch nichts.
Den letzten Monat in Emeris verbrachte er daher mit Kursen an der Akademie, mit seinem autoritären Meister Dun und bei Gesprächen mit Rogant und Aladzio, den er allmählich besser kennen- und schätzen lernte. Doch das Warten dauerte nicht lang. Das Grollen des Aufstands erreichte die Tore der Kaiserstadt.
Es war genau, wie De Page vorausgesagt hatte. Der Krieg näherte sich seinem Ende. Laerte war endlich bereit, dem Kaiser und seiner Hand zu begegnen, ohne zu zittern. Hatte er nicht einen roten Drachen bezwungen? Asham Ivani Reyes war nur ein Mensch, was die Aufgabe deutlich erleichterte.
»Morgen!«, verkündete Esyld.
Sonnenschein lag auf den weißen Steinen des Stegs. Eine Flechte glitt über die nackte Schulter des Mädchens, die von einem Sonnenstrahl liebkost wurde. Trotz ihres angespannten Gesichts war sie in ihrem karmesinroten Kleid schöner denn je. Grenouille versuchte verzweifelt, ihrem Blick zu begegnen, doch sie wich seinen Augen aus. Abwesend betrachtete sie die Palastgärten, die sich wie die Stufen einer blumengeschmückten Treppe ins Tal hinunterschwangen.
»Ich dachte, es wären nur Gerüchte«, gab er mit leiser Stimme zu. »Emeris wirkt so unendlich ruhig.«
»Meurnau und seine Leute stehen vor den Toren«, entgegnete sie schneidend.
»Esyld …«
»Sie haben nach den Plänen deines Freundes Kanonen gebaut und werden die Stadt problemlos einnehmen. Bleibt noch der Kaiser. Jetzt kannst du endlich handeln. Ein Adliger, der auf unserer Seite ist, bringt mich aus der Stadt. Ich bin sehr zuversichtlich. Aber was ist mit dir?«
»Esyld, sieh mich an.«
Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und wandte die Augen sofort wieder ab. »Ich brauche Zeit, Laerte«, erklärte sie knapp. »Obwohl ich dich wirklich liebe, brauche ich noch Zeit, ehe ich dir verzeihen kann.«
»Das habe ich nicht gewollt …«
»Du weißt sehr wohl, was ich dir vorwerfe«, schnitt sie ihm das Wort ab.
Ja, natürlich. Welchen Platz hatte er in diesem Aufstand eingenommen? Er hatte ihn bekämpft, statt ihn anzuführen.
»Ich bin eben wie ein Erain-Frosch«, verteidigte er sich fast flüsternd. »Ich werde genau im richtigen Moment zuschlagen. Und morgen ist der richtige Moment, Esyld. Ich werde keine Schwäche zeigen, das verspreche ich dir.«
»Ich glaube dir«, sagte sie, klang aber nicht überzeugt. »Und was ist mit Dun-Cadal?«
Endlich blickte sie ihn an. Ihre Züge entspannten sich. Wie gern hätte er sie jetzt in den Arm genommen! Er begehrte sie so sehr, dass er sein Leben für sie gegeben hätte.
»Was soll mit ihm sein?«
»Tötest du ihn
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