Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
es überhaupt möglich, die Salinen auf diese Weise zu verlassen? Glaubte er tatsächlich daran? Ein immer noch humpelnder Ritter und ein Kind aus den Sümpfen, das nichts als ein Holzschwert bei sich hatte?
»Bist du dir darüber im Klaren, was dich dort erwartet?«, fragte er mit rauer Stimme.
»Ich … ja, wir werden kämpfen. Kämpfen für …«
»Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Bist du bereit zu töten?«
Stumm wandte Grenouille den Blick ab.
»Es gibt nichts Schlimmeres, als einen Menschen gehen zu sehen, Grenouille. Wirklich nichts Schlimmeres. Sein letzter Atemzug. Das letzte Aufflackern in seinem Blick, der allein dir gilt. Es ist kein Spiel, und vor allem ist es nicht harmlos.«
»Ich bin bereit.«
»Du wirst nicht nur diese Menschen töten. Ganz gleich, was der Grund für dein Vorgehen ist, und ganz gleich, ob er gerechtfertigt ist – es gibt keine Entschuldigung dafür, jemandem das Leben zu nehmen. Egal, um wen es sich handelt.«
»Ich bin bereit«, wiederholte Grenouille.
»Hör zu«, fuhr Dun fort und stieß sich von dem Baum ab, gegen den er gelehnt hatte.
Der Junge wich zurück, denn in Duns Augen spiegelte sich Zorn.
»Du bist nur ein Junge. Was wird geschehen, wenn du dieses Stück Holz in das Fleisch eines Menschen stößt? Wirst du zusammenbrechen wie ein kleines Mädchen?«
»Nie und nimmer«, stieß Grenouille hervor.
»Dort drüben wirst du deine Unschuld töten, mein Junge. Und du darfst mir glauben, dass mich das am meisten betrübt.«
Grenouille wich Duns Blick aus und nickte.
»Du hast gesagt, dass wir es schaffen können. Und ich war verrückt genug, dir zu glauben.«
Mit geballter Faust versetzte er einer jungen Esche einen heftigen Hieb. Nicht nur, dass ihm allmählich Zweifel an ihrem waghalsigen Angriff kamen – langsam meldete sich auch die Angst. Er hatte junge Soldaten gesehen, kaum älter als Grenouille, die mit stolzgeschwellter Brust in den Kampf zogen und mitten auf dem Schlachtfeld in die Knie gingen und in Tränen ausbrachen. Wie würde sich der Junge halten? Er war doch noch ein Kind.
»Ich habe hier nichts mehr zu tun«, verkündete Grenouille.
Seine Stimme klang schwach, aber fest.
»Ich bin hier niemand mehr.«
Nachdenklich drehte sich Dun zu ihm um. Die Gelegenheit war zu verführerisch. »Und wer warst du früher?«
Grenouille warf einen flüchtigen Blick auf die dunkel gewordenen Sümpfe. »Niemand Interessantes«, antwortete er. »Ein Kind, dem nicht viel gelang. Ich war nie besonders begabt.«
»Und jetzt? Bist du es jetzt?«
Grenouille warf seinem Lehrmeister einen Blick zu, der auch den mutigsten Mann zum Zittern gebracht hätte. Entschlossen. Brennend. Fiebrig. Niemand würde ihn aufhalten können.
»Zumindest versuche ich, mein Bestes zu geben.«
Wie sollte ich mehr von ihm verlangen?, dachte der Ritter.
Eine Eule segelte lautlos über sie hinweg. Der Wind frischte auf. Das Plätschern des Wassers in den Sümpfen war nur noch ein weit entferntes Murmeln. Jenseits des Walds erstreckten sich die Gebiete der alten Königreiche, von denen sie nur noch die Frontlinie der Aufständischen trennte. Dun setzte sich unter eine Esche.
»Hier warten wir. Wir greifen mitten in der Nacht an, sobald ihre Wachsamkeit nachgelassen hat.«
Lächelnd blickte er Grenouille an, der zögernd einen Schritt auf ihn zutrat und darauf zu warten schien, dass er aufgefordert wurde, sich ebenfalls zu setzen. Doch Dun achtete nicht auf seine Unsicherheit. Er riss einen Zweig ab und begann, darauf herumzukauen. Stumm beobachtete er die tiefer werdenden Schatten am Waldrand. Mit abwesendem Blick ließ sich Grenouille zu seiner Rechten nieder. Nur der Schrei der Eule zerriss das Schweigen.
»Weißt du noch, was ich dich gelehrt habe?«, fragte Dun plötzlich, ohne ihn anzuschauen.
»Ja«, antwortete Grenouille lässig.
»Und um was ich dich gebeten habe?«
»Ja.«
Er tat, als finge er etwas mit der linken Hand, und versetzte diesem Etwas einen fingierten Stoß mit der rechten.
»Wenn ich einen Wachsoldaten von hinten angreife, halte ich ihn fest und versetze ihm einem Streich – nur einen einzigen Streich – in den Hals.«
»Und deine Hand?«
»Die Hand lege ich ihm über den Mund, damit er nicht schreit. Alles gleichzeitig.«
»Gut«, seufzte Dun. »Mehr kommt nicht infrage. Vor allem keine direkte Konfrontation.«
Aus dem Augenwinkel beobachtete er, wie der Junge mit gesenktem Kopf ungerührt Grashalme zwischen seinen gespreizten Beinen
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