Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
ausrupfte.
»Das scheint dir nicht zu gefallen.« Er wartete kurz auf eine Antwort. Als diese ausblieb, fuhr er fort: »Dir schwebt etwas Grandioseres vor. Zum Beispiel, ihnen die Stirn zu bieten. Das entspricht doch eher dem Bild, das du dir vom Ritterdasein machst, oder irre ich mich? Ihnen die Stirn zu bieten, genau wie dem Tod.«
»Ich halte mich an das, was Ihr mir gesagt habt«, murmelte er.
»Gut«, flüsterte Dun zufrieden.
Langsam wurden die Sterne am Himmel zahlreicher.
»Siehst du diese Handschuhe?«
Ohne den Blick vom himmlischen Schauspiel zu wenden, streckte er ihm seine mit Eisen behandschuhten Hände hin. Er war sicher, dass der Junge neugierig genug war, sie zu begutachten.
»Sie sehen zwar nicht danach aus, aber sie sind voller Blut. Blut aus Schlachten und Zweikämpfen, aber nicht nur das.«
»Ich sehe kein Blut«, stellte Grenouille mit zittriger Stimme fest.
»Man sieht es nicht mehr. Aber ich spüre es. Und genau das ist das Allerwichtigste. Man darf sich nicht aus der Verantwortung stehlen, sondern muss zu dem stehen, was man getan hat.«
»Ihr wart nicht immer Ritter, nicht wahr?«
Diese Frage hatte der Junge ihm schon einmal gestellt, und eigentlich war es schon damals mehr eine Feststellung als eine Frage gewesen.
»Nein. Ehe ich zum Ritter geschlagen wurde, war ich das, was du nie werden willst.«
Er wandte dem Jungen das Gesicht zu, weil er auf seine Reaktion neugierig war.
»Ich war ein Assassine«, gestand er.
Grenouille zuckte mit keiner Wimper, sondern hielt seinem Blick mit leicht gerunzelten Brauen stand.
»Ich habe nie einen großen Unterschied zwischen den Aufgaben eines Assassinen und denen eines kaiserlichen Ritters erkennen können. Sieg oder Erfolg – je nachdem, wie du es nennst – war immer an den Tod von Menschen gekoppelt. Menschen, die mit Sicherheit Familie, Freunde und Aufgaben hatten.«
Seine Stimme wurde brüchig, der Blick unstet.
»Es macht keinen Unterschied, ob du einen Menschen von vorne oder von hinten tötest. Es muss nur schnell gehen und gut gemacht sein. Niemand sollte leiden, ehe er ins Paradies eingeht. Also schlag schnell zu, Grenouille. Und gut.«
Lange sah er seinen Schüler an.
»Schnell und gut«, wiederholte er.
»Das werde ich«, versprach der Junge.
Ohne seinen Lehrmeister aus den Augen zu lassen, streifte er die geflickten Wollhandschuhe über, die er wenige Tage zuvor auf dem Markt von Guet d’Aëd einem Händler gestohlen hatte.
Seine vorgebliche Ruhe vermochte einen so erfahrenen Mann wie Dun-Cadal indes nicht zu täuschen. Wie viele Male hatte er junge Soldaten – obschon älter als Grenouille – eine solche Ruhe zur Schau tragen sehen, in der Hoffnung, die Angst, die ihr ganzes Wesen erschütterte, auf die Weise zu verbergen. Doch der Junge war nicht dumm, wie er jetzt mit gesenktem Blick dastand und sich die wollbehandschuhten Hände rieb. Und das nicht nur wegen der Kälte. Der General wusste, dass Grenouille sich Mut zu machen versuchte, so wie er den tieferen Grund dieses Diebstahls erraten hatte. Solche Handschuhe würden die Hände des Jungen gewiss davor bewahren, mit Blut befleckt zu werden.
Welch eitle Hoffnung.
Die folgenden Stunden schienen kein Ende zu nehmen. Als sich Dun schließlich erhob, überquerte eine leuchtende Straße den Himmel, als wollte sie die Menschen von einem Ende der Erde zum anderen führen. Alle Wolken hatten sich aufgelöst, und ein leichter Nachtwind spielte im Laub. Plötzlich ertönte ein trockenes Krachen. Dun betrachtete den Zweig, den der Junge gerade zertreten hatte.
»Pass genau auf, wo du hintrittst«, flüsterte er. »Wir können uns keinen Fehler leisten.«
Ernst sah er ihn an.
»Ich werde nicht auf dich warten«, flüsterte er, ehe er sein Schwert zog.
Lautlos betrat er den Wald. Es ging los. Kein Befehl, kein tröstliches Wort – nichts als dieser lapidare Ratschlag: Pass auf, wo du hintrittst. Ein Fehltritt bedeutete den sicheren Tod.
Grenouille kannte den Plan in- und auswendig. Er hatte sich den Ablauf in den letzten Wochen immer und immer wieder eingeprägt, zum letzten Mal erst heute Morgen.
Soweit es möglich war, wussten sie Bescheid über die Anzahl der Wachen, ihre Standorte und die Wachablösung der Truppe. Soldaten, die in Guet d’Aëd Station gemacht hatten, waren nach einigen Gläsern Wein in den Tavernen oft redselig geworden.
Warum also den Augenblick mit unnützen Worten befrachten? Die Angst wog auch so schon schwer genug. Er hatte
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