Der Pfad des Zorns - Das Buch und das Schwert 1: Buch & Schwert 1 (German Edition)
gestern sind nicht die Gleichen wie heute. Aber du hast Glück gehabt. Jeder würde dich für schuldig halten, doch eine junge Frau hat für dich gebürgt.«
Viola! Zwar zeigte Dun nicht die kleinste Regung, doch er war unendlich erleichtert. Die Kleine machte ihm wirklich Spaß. Seit er sie kannte, hatte sich sein Leben grundlegend verändert. Und jetzt hatte sie ihn gerettet.
»Du hast wirklich Glück. Ohne sie …«
Er beendete den Satz nicht, warf aber einen Seitenblick auf Dun, als wollte er sich vergewissern, dass er sich die schlimmsten Foltern ausmalte.
»Es liegt daran, dass ich mich nie gestellt habe, nicht wahr?«
»Der Hass auf das Kaiserreich ist bei einigen noch ziemlich präsent«, nickte Azdeki. »Aber alle abtrünnigen Generäle, die als gefährlich eingestuft wurden, haben wir verhaftet.«
Dun drängte ein nervöses Lachen zurück und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Natürlich galt er in den Augen der Republik als ungefährlich, obwohl er zu seinen besten Zeiten den Verlauf einer Schlacht ganz allein umkehren konnte. Ohne Grenouille jedoch war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Harmlos. Sein Ruhm hatte sich im Wein aufgelöst.
»Du hast also von dieser Seite nichts zu befürchten«, fügte Azdeki hinzu und stand auf.
»Und warum dann der ganze Aufwand?«
»Warum ich dich besuche?«, hakte er nach. »In der Nacht der Masken werde ich meinen Sohn verheiraten. Ich bin ein vom Volk gewählter und hoffentlich auch geliebter Ratsherr. Ich habe mein Leben unter Mächtigen verbracht, aber während einer gewissen Zeitspanne stand ich im Schatten eines Generals.«
Jetzt wandte er Dun hochmütig den Rücken zu. Dun saß mit verstörtem Gesicht auf der Pritsche. Der Schmutz auf seiner Haut wurde nur von seinem wild wuchernden Bart kaschiert. Allmählich begriff er den Grund für Azdekis Besuch und schloss die Augen. Die Antwort auf seine Frage würde ihm den letzten Rest Ehre nehmen, das wusste er jetzt. Der Ratsherr neigte den Kopf zur Seite, hielt es jedoch nicht für nötig, sich zu dem Gefangenen umzudrehen. Warum hätte er es auch tun sollen? Um ihn noch mehr zu demütigen?
»Ich wollte mir mit eigenen Augen ein Bild davon machen, was aus dem großen Helden Dun-Cadal Daermon geworden ist.« Langsam bewegte er sich auf die Zellentür zu.
»Azdeki!«
Der Ratsherr, der bereits die Faust erhoben hatte, um dem Kerkermeister das Ende der Unterredung zu signalisieren, blieb stehen.
»Wie viele seid ihr?«, fragte Dun. »Wer hat sich sonst noch an die Republik verkauft, um wenigstens ein bisschen Macht zu behalten? Sag es mir.«
In seiner Stimme lag kein Hass, sondern vielmehr Verdruss.
Azdeki an der Tür bewegte sich nicht. »Du hast dich nie durch besondere Intelligenz ausgezeichnet, Daermon«, antwortete er schließlich eisig. »Du hast weder gesehen noch verstanden, was sich vor deinen Augen abspielte. Selbst wenn die Welt unter deinen Füßen zusammengebrochen wäre, hättest du es nicht bemerkt.«
Negus hatte genau das Gleiche gesagt. War er wirklich derart blind gewesen? Hatte er vielleicht nur als einfacher Krieger, als Werkzeug, als Instrument hergehalten?
»Alles war vorhersehbar«, fuhr Azdeki fort. »Es stand geschrieben. Man konnte es lesen. Es musste so kommen. Das Kaiserreich war genau wie der Kaiser – schwer krank.«
Mit immer noch erhobener Faust wandte er sich um.
»Weißt du, was merkwürdig ist? Ich dachte, es würde mir mehr Spaß machen, dich so erbärmlich zu sehen.«
Mit wie zum Gebet gefalteten Händen und ohne den Kopf zu heben antwortete Dun: »Und weißt du, was ich merkwürdig finde? Dass ich froh bin, dass ich Logrid nicht erwischt habe.« Er hob den Blick. »Weil nämlich diese ganzen Machtspielchen nichts sind gegen seine Rache. Er wird das tun, was ich nicht erledigen konnte.«
Azdeki presste die Lippen zusammen und pochte heftig gegen die Tür. Der Kerkermeister öffnete sofort.
»Die Götter haben offenbar Mitleid mit Säufern, Daermon. Du bist frei.«
Für den Bruchteil einer Sekunde kam es Dun vor, als flackere etwas in Azdekis Augen. Es genügte, um ihm ein kleines Lächeln zu entlocken.
Für den Bruchteil einer Sekunde hatte er Angst in diesem stolzen Blick gesehen.
12
AM SCHEIDEWEG
Wenn seine Erinnerungen ihn dereinst
erwecken, werde ich mich zeigen.
Hier am Scheideweg zwischen dem, was wir waren,
dem, was wir sind,
und dem, was wir sein werden.
I ch weiß, was Ihr denkt, mein Freund. Und ich weiß auch, was Ihr nicht
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