Der Pfad im Schnee
ich.«
Einen so großen Bären konnte sie sich nicht vorstellen. Sie dachte an das Tier in seinem Heimatland, das ihr so fern und fremd war. Der Bär würde mächtig, wild, mit langsamen Bewegungen sein, und doch hatten ihn Männer getötet und gehäutet. Sie fragte sich, ob sein Geist sich immer noch irgendwie in der Haut befand und ob er es übel nehmen würde, dass sie seine Wärme genoss. Sie schauderte. »Dr. Ishida ist ebenso tapfer wie klug, wenn er auf so gefährliche Reisen geht.«
»Er hat offenbar einen unstillbaren Wissensdurst. Natürlich wurde alles durch Lady Shirakawas Gesundung belohnt.«
»Ich verdanke ihm mein Leben«, sagte sie leise.
»Dann ist er mir noch viel wertvoller, als er mir ohnehin schon ist.«
Sie hörte seine übliche Ironie heraus, aber keine Verachtung. Tatsächlich konnte er kaum ein größeres Kompliment machen.
»Wie wunderschön der erste Schnee ist«, sagte sie. »Und doch sehnen wir uns am Ende des Winters danach, dass er schmilzt.«
»Schnee gefällt mir«, entgegnete er. »Ich mag es, wie weiß er ist und wie er die Welt einhüllt. Unter ihm wird alles rein.«
Mamoru goss Wein ein und reichte ihnen die Becher. Dann verschwand er in den Schatten. Die Diener zogen sich zurück. Fujiwara und Kaede waren nicht wirklich allein, doch es entstand eine Illusion von Einsamkeit, als ob nichts existierte außer ihnen beiden, den glühenden Kohlenpfannen, den schweren Tierfellen und dem Schnee.
Nachdem sie eine Weile schweigend in den Anblick versunken waren, befahl Fujiwara den Dienern, mehr Lampen zu bringen.
»Ich möchte Ihr Gesicht sehen.« Er beugte sich vor und musterte sie auf die hungrige Art, mit der er seine Schätze betrachtet hatte. Kaede hob den Blick und schaute an ihm vorbei auf den Schnee, der jetzt dichter fiel, im Licht der Laternen wirbelte, die Berge verdeckte und die Welt da draußen weiß färbte.
»Vielleicht noch schöner denn je«, sagte er leise; sie glaubte in seinem Ton eine gewisse Erleichterung zu entdecken. Sie wusste, dass er sich höflich zurückgezogen und ihr nie mehr begegnet wäre, wenn ihre Krankheit sie auf irgendeine Weise verunstaltet hätte. Sie hätten in Shirakawa alle verhungern können ohne eine Geste des Mitgefühls oder Hilfe von ihm. Wie kalt er ist, dachte sie und spürte, wie ihr Körper als Reaktion erstarrte, doch sie zeigte es nicht, schaute nur weiter an ihm vorbei, bis der Schnee sie blendete. Sie würde kalt werden wie Eis, wie der blassgrüne Stein. Und wenn er sie besitzen wollte, würde er den höchsten Preis zahlen.
Er trank, füllte seinen Becher und trank wieder, dabei ließ er sie nie aus den Augen. Beide schwiegen.
Schließlich sagte er abrupt: »Natürlich werden Sie heiraten müssen.«
»Ich habe nicht vor zu heiraten«, antwortete Kaede und fürchtete dann, zu direkt gewesen zu sein.
»Ich habe mir vorgestellt, dass Sie das sagen, weil Sie immer anderer Meinung sind als die übrige Welt. Doch nach praktischen Gesichtspunkten müssen Sie verheiratet sein. Es gibt keine Alternative.«
»Ich habe einen sehr nachteiligen Ruf«, sagte Kaede. »Zu viele Männer, die mit mir in Beziehung standen, sind umgekommen. Ich will nicht noch mehr Todesfälle verursachen.«
Sie spürte, wie sein Interesse sich steigerte, bemerkte, wie die geschwungene Linie seines Mundes sich leicht verstärkte. Aber nicht, weil er sie begehrte, das wusste sie. Es war das gleiche Gefühl, von dem sie zuvor etwas bemerkt hatte, eine brennende, sorgfältig beherrschte Neugier, alle ihre Geheimnisse zu erfahren.
Er wies Mamoru an, die Diener wegzuschicken und sich selbst zurückzuziehen.
»Wo ist Ihre Dienerin?«, fragte er Kaede. »Sagen Sie ihr, sie soll drinnen auf Sie warten. Ich möchte allein mit Ihnen sprechen.«
Kaede redete mit Shizuka. Nach einer Pause fuhr Fujiwara fort: »Ist Ihnen warm genug? Sie dürfen nicht wieder krank werden. Ishida hat mir gesagt, dass Sie zu plötzlichen Fieberanfällen neigen.«
Natürlich hat Ishida ihm alles über mich erzählt, dachte Kaede, während sie antwortete: »Danke, mir ist im Moment warm genug. Aber Lord Fujiwara wird mir verzeihen, wenn ich nicht lange aufbleibe. Ich werde sehr leicht müde.«
»Wir unterhalten uns nur kurz. Wir haben viele Wochen vor uns. Den ganzen Winter, hoffe ich eigentlich. Aber da ist etwas um diese Nacht, den Schnee, Ihre Anwesenheit hier… es ist eine Erinnerung, die uns unser ganzes Leben lang begleiten wird.«
Er will mich heiraten. Der Gedanke
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